Das kleine Israel dürfte mittelfristig zu einem der grössten Energielieferanten der Welt aufsteigen: Gigantische Vorkommen an Erdgas und Ölschiefer sollen in den nächsten Jahren gehoben werden.
Wir erinnern uns: Im Sommer 2011 gingen hunderttausende Menschen in Israel auf die Strasse, um gegen hohe Lebenshaltungskosten und für soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren. Zum Jahrestag der Sozialproteste in Israel sind vor wenigen Wochen nochmals Tausende Menschen in Tel Aviv und Jerusalem zu Protestmärschen zusammengekommen. Dabei schockierte die Selbstverbrennung eines Teilnehmers das Land. Zukünftig dürfte es um den sozialen Frieden in Israel deutlich besser bestellt sein: Nachdem Israel jahrzehntelang von Energielieferungen aus dem Ausland abhängig war, wird es schon bald zu einem der grössten Ölexporteure werden. Wie ist das möglich?
Die glänzende Zukunft im Bereich Energieversorgung hängt zum einen mit der Entdeckung von zwei riesigen Erdgasfeldern in 5000 Metern Tiefe weit draussen vor der Küste Israels zusammen. Die Vorkommen gehören zu den grössten Gasfunden in den vergangenen zehn Jahren. Die Erschliessung der beiden Felder im Mittelmeer allein würde ausreichen, um das Land jahrzehntelang komplett zu versorgen. Zugleich könnte Israel zu einem regionalen Energieexporteur aufsteigen. Hinzu kommt zum anderen eine ebenfalls riesige Lagerstätte von Ölschiefer in der Shfela-Senke südwestlich von Jerusalem. Werden zusätzlich diese Ölschiefervorkommen auf dem Festland erschlossen, würde das Land zu einer Supermacht im Bereich der internationalen Energieversorgung aufsteigen. Die jeweiligen Vorkommen sind schon einige Jahre lang bekannt. Dennoch wurde mit der Förderung noch nicht begonnen. So liegen geschätzte 250 Milliarden Barrel Rohöl, die aus dem Ölschiefer in der Shfela-Senke gewonnen werden können, unangetastet im Boden. Zum Vergleich: Diese Vorkommen sind annähernd so gross wie Saudi-Arabiens gesamte Ölreserven, die sich auf 260 Milliarden Barrel belaufen. Die unterirdisch auf 238 Quadratkilometern in der Shefla-Senke liegenden israelischen Reserven sind zugleich die weltweit zweitgrössten bekannten Ölschiefervorkommen nach den Lagerstätten in den USA.

Aus zwei Gründen wurden die Vorkommen bislang nicht erschlossen: Die Förderung ist einerseits technologisch sehr aufwendig, und andererseits schrecken internationale Ölkonzerne, die über ausreichende technische Mittel verfügen, weiterhin vor der Erschliessung zurück: Sie haben Angst davor, die islamischen Ölförderländer, in denen sie mittels Joint Ventures Öl fördern, vor den Kopf zu stossen. “Keiner der grossen Ölkonzerne will sich in Israel engagieren, weil sie nicht von den Ölreserven des Nahen Ostens abgeschnitten werden wollen”, beklagt Howard Jonas, CEO von IDT – die US-Gesellschaft, der die Shfela-Konzession durch ihr Tochterunternehmen Israel Energy Initiatives gehört – das Problem. Jonas sieht die Shfela-Lagerstätte dabei nur als Etappenziel zu noch mehr Öl: “Wir sind überzeugt, dass sich unter Israel mehr Öl befindet, als unter Saudi-Arabien. Es ist gut möglich, dass wir auf Vorkommen von insgesamt einer halben Billion Barrel stossen.” Doch weil inzwischen die technischen Möglichkeiten für die Extraktion des Öls aus dem Ölschiefer ausgereift und preislich günstiger geworden sind, will Israel die Förderung selbst in die Hand nehmen: Unter Führung von Harold Vinegar, jahrzehntelang Chef-Wissenschaftler beim Ölkonzern Shell und mit 240 Patenten für die Exploration von Ölschiefer dekoriert, sollen die Schätze gehoben werden. Die von Vinegar – von Israel zum „Chief Scientist for Israel Energy Initiatives“ (IEI) ernannt – entwickelten Technologien kommen mit verschwindend geringen Eingriffen in die Natur aus: Es gibt keinen Tagebau und es fällt kein aufwendig zu entsorgender Abraum an. Stattdessen wird der Ölschiefer unterirdisch auf 325 Grad erhitzt, wobei Öl und Gas freigesetzt werden. Mithilfe des Gases kann die nötige Energie für die weitere Extraktion des Öls erzeugt werden.

Das geförderte Öl wird dann in Raffinerien zu Kerosin, Dieselöl und Rohbenzin verarbeitet. Die Kosten der Förderung belaufen sich Schätzungen zufolge nur auf 35 bis 40 US-Dollar pro Barrel. Vinegar zufolge liegt diese Summe deutlich unter den Kosten von 60 US-Dollar/Barrel, die für die Förderung von Öl aus der Arktis anfallen und beinahe gleichauf mit den 30 bis 40 US-Dollar für die Förderung in der Tiefsee vor Brasiliens Küste. Anders als in Arktis oder Tiefsee bleibt die mögliche Gefährdung der Umwelt in Israel verschwindend gering: Das mit Infrastruktur für die Ölförderung zu überziehende Gebiet – auf dem, wie gezeigt, Ölvorräte in der Grössenordnung Saudi-Arabiens gefördert werden sollen – beträgt laut Vinegar insgesamt nur rund 25 Quadratkilometer. Förderung ab 2020 könnte Ölversorgung des Westens stabilisieren 2020 könnte die Förderung starten, anfänglich sind 50,000 Barrel am Tag geplant. Noch relativ wenig im Vergleich zu Israels Verbrauch von 270.000 Barrel/Tag, doch die Kapazität soll mit dem anlaufenden Ölgeschäft dann immer weiter ausgebaut werden. Nicht nur Israel dürfte dann Grund zur Freude haben. Auch der Westen dürfte im Hinblick auf die zukünftige Energieversorgung entlastet werden. Denn die Hoffnung auf 250 Milliarden Barrel Öl und die israelischen Überlegungen, dieses Öl nach Europa, China und sogar Indien zu exportieren, machen nicht nur Hoffnung auf günstigere Energiepreise, sondern auch auf eine weniger starke Abhängigkeit der EU von den islamisch dominierten Ölstaaten. Zypern und Griechenland stehen genau wie Israel bereits in den Startlöchern, um am Ölboom im östlichen Mittelmeer teilzuhaben. Während vor der Küste von Zypern ebenfalls mit rund 200 Milliarden Kubikmetern Unmengen an Erdgas lagern und Israel und die Mittelmeerinsel bereits Pläne schmieden, das Gas über gemeinsame Pipelines zu transportieren, bietet sich Griechenland als Umschlagplatz und Drehkreuz für die Verteilung des Gases nach Europa an. Um beim Abbau des Gases keine Streitigkeiten aufkommen zu lassen, wurde der Grenzverlauf zwischen den Wirtschaftsgewässern von Israel und Zypern bereits in einem zum Jahreswechsel 2010/11 unterzeichneten Abkommen mit akribischer Genauigkeit festgelegt. Der israelische Energiekonzern Delek Group hat darüber hinaus angeboten, auf Zypern eine Erdgasverflüssigungsanlage zu errichten. Dann könnte in der Nähe gefördertes israelisches Erdgas über eine unterseeische Pipeline nach Zypern geliefert, dort verflüssigt und nach Europa geliefert werden. „Wenn alles gut und wie geplant läuft, verfügt die EU bald über einen neuen Energie-Korridor“, begeistert sich ein Sprecher der zyprischen Regierung. „Dieser Korridor hat den Vorteil, zum einen Teil sogar europäisch zu sein, weil die Energie zum Teil aus Zypern kommt und zum anderen Teil aus Israel, einem sehr vertrauenswürdigen Partner.“
Konflikte unter den Anrainern und ihren Verbündeten sind vorprogrammiert Doch die ungeheuer grossen Funde wecken bereits Neid beim Anrainerstaat Türkei: Die Türkei hat Ende Mai 2012 denjenigen Konzernen mit Repressalien gedroht, die sich an einem Bieterverfahren für Öl- und Gas-Bohrprojekte vor Griechisch-Zypern beteiligen. Vor Griechisch-Zypern liegen Erdgasreserven, die auf bis zu 226 Milliarden Kubikmeter geschätzt werden. Die Regierung des griechischen Teils der in zwei Staatsterritorien geteilten Insel wird von Ankara nicht anerkannt. Am Bieterverfahren teilnehmende Unternehmen sollen „in Zukunft nicht bei Energieprojekten der Türkei berücksichtigt werden“, zitierten türkische Medien eine entsprechende Erklärung des türkischen Aussenministeriums. Zu den Bietern um die Konzessionen gehören die Ölkonzerne Total (Frankreich), Petronas (Malaysia), Kogas (Korea), Eni (Italien), Novatek (Russland), Delek (Israel) sowie die australische Woodside Energy Holdings. Nach Auffassung der Politiker von Griechisch-Zypern sind die in den vergangenen Monaten auf den Weg gebrachten Erkundungsbohrungen jedoch völlig legitim. Von den Partnern in der Europäischen Union habe man dafür bereits Rückendeckung erhalten. Vor allem mit Blick auf einen Block im Nordosten der jüngsten Entdeckungen – an der Seegrenze zwischen Zypern und Israel – kommt es zum Streit. Die Türkei vertritt die Ansicht, dass in diesem Terrain eigene Hoheitsrechte verletzt würden. Demzufolge werde man dort keinerlei Aktivitäten zulassen. Wenn es ums Öl geht, haben die generell angespannten nachbarschaftlichen Beziehungen ein Ende. Die Türkei hat sogar schon Kriegsschiffe vor der griechisch-zypriotischen Erkundungsplattform kreuzen lassen. Ein kleines Geplänkel vor möglicherweise grösseren Konflikten: Die Ausbeutung von Öl und Gas im östlichen Mittelmeer berührt die strategischen Interessen der Europäischen Union, Russlands, Israels und damit der Vereinigten Staaten, der Türkei, Syriens und des Libanon.
Mehr Informationen unter: http://energy.gov.il/English/Pages/default.aspx
Kategorien:Wirtschaft
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