Wie ein Museum die deutsche Verkrampftheit im Umgang mit Juden durchbrechen will.

Mauer-Werk: „Was geschieht mit den Zetteln in der Klagemauer?“ lautet die Frage zu diesem Foto von Rabbiner Shmuel Rabinowitz beim Reinigen der Westmauer.

Diese Zeichnung illustriert die Frage: Darf man über den Holocaust Witze machen? Unter der Überschrift „Das Problem, sich in Konzentrationslagern mit Mädchen zu verabreden“ sagt der Junge: „Lass mich Dir meine Nummer auf Deinen Arm schreiben. . . Mist, da ist kein Platz.“
Die Provokation ist Absicht. Darum gibt es in Berlin derzeit überall Plakate zu sehen, auf denen steht „Die Juden sind an allem schuld“. Mit denen wird auf die neue Ausstellung des Jüdischen Museums hingewiesen. Darum trägt sie den Titel „Die ganze Wahrheit . . . Was Sie immer schon über Juden wissen wollten“. Und darum sitzt während der Öffnungszeiten im letzten Saal ein leibhaftiger Jude in einem Glaskasten. Die Besucher können über Mikrofon mit ihm sprechen und ihm letzte Fragen stellen, die beim Rundgang noch nicht beantwortet wurden oder erst entstanden sind.
Fragen wie diese: „Woran erkennt man einen Juden?“ „Sind Juden auserwählt?“ „Darf man über den Holocaust Witze machen?“ „Was machen Juden an Weihnachten?“ Aber auch, ob Juden geschäftstüchtiger sind als andere Menschen, ob sie sich tätowieren lassen – oder ob viele krumme Nasen haben. Alle Fragen sind erlaubt, die man nie gewagt hätte, einem Juden zu stellen. Die deutsche Verkrampftheit im Umgang mit der jüdischen Minderheit soll durchbrochen werden.
An einem der ersten Tage hockte Leeor Engländer, 30, im Glaskasten und liess sich beäugen und befragen. Er ist in Heilbronn geboren, lebt in Berlin und findet nichts Voyeuristisches dabei, sich auszustellen. Er sei an seiner Schule der einzige Jude gewesen und habe sein ganzes Leben lang die Frage beantworten müssen, was seine Spezies ausmache. Deshalb stehe er auch hier Rede und Antwort. Die Frage nach den krummen Nasen beantwortet er salomonisch: Manche Juden haben krumme Nasen, andere nicht.
Unorthodox und unkonventionell wird das Eigene dargestellt. Vor allem junge Leute werden das zu schätzen wissen. Ob man deshalb einen Menschen wie ein Zootier im Glaskasten ausstellen muss, das ist Geschmackssache. Man habe sich nach Diskussionen dazu entschlossen, erklärt Cilly Kugelmann, die Programmdirektorin des Jüdischen Museums. Am Ende des Rundgangs dürfen Besucher sogar mit Münzen abstimmen, ob sie Juden für schön, tierlieb oder intelligent halten oder immer noch glauben, dass sie raffinierte Geschäftemacher seien. Die krasse Zurschaustellung, so hört man, erfreut in der Jüdischen Gemeinde nicht alle.
Cilly Kugelmann und ihr Team haben Kommentare von Besuchern, die sie in den letzten Jahren ins Gästebuch eintrugen oder auf Zetteln hinterliessen, durchforstet und 32 Fragen herauskristallisiert, die in der Ausstellung Antworten erhalten. Nicht immer sind sie allerdings eindeutig, denn, so Kugelmann: „Wir geben nicht eine einzige Antwort, wir zeigen viele Perspektiven.“
Klar wird nur, dass es „die Judenheit“ (Johannes Bobrowski) nicht gibt, sondern verschiedene jüdische Lebenswelten. Der Besucher wird gerade an diesem Punkt gefordert. In der Abteilung „Wer ist Jude?“ geht es bunt zu. So hat Cilly Kugelmann bei einer Gentest-Firma ihren Speichel untersuchen lassen und zeigt das Ergebnis. „Urvolk: Juden“ steht auf dem Papier, „Verbreitungsgebiet: Osteuropa, Litauen, Ukraine“. Dazu hat die Programmdirektorin ihren Stammbaum gezeichnet, ihre Grosseltern und Eltern wurden von den Nazis ermordet.
Aber auch untereinander sind sich Juden nicht immer einig. David Ben Gurion, Israels erster Staatspräsident, erklärte: „Für mich gilt jeder als Jude, der meschugge genug ist, sich selbst einen zu nennen.“ Jüdische Gelehrte, ihre Zitate an Wänden, sehen das anders – der Übertritt zum Judentum wird genau erläutert. Beispiele sind Marilyn Monroe, die den jüdischen Autor Artur Miller heiratete und zuvor in die Mikwe stieg, das rituelle Tauchbad. Oder Entertainer Sammy Davis Jr., der nach einem Autounfall Jude wurde und es bis zum Tod blieb. Als Leihgabe ist sein siebenarmiger Leuchter zu sehen.
Die jüdische Welt ist eine des Dialogs. Es gibt keine absoluten Wahrheiten ausser jener, dass Gott sei. Über alles andere kann man diskutieren. Diese Vielfalt wird mit Porträts, Texten – die sich stets auf Bibel und Talmud beziehen – und Videos vorgeführt. Auch die aktuelle Diskussion, ob Deutsche Israel kritisieren dürfen, wird behandelt. Ebenso Holocaust-Witze.
Da singt der jüdische Künstler Oliver Polak nach dem Reim von Helge Schneider: „KZ-Klo, KZ-Klo macht den Schlomo gar nicht froh.“ Das ist eine Zumutung, wie das Lied des Komponisten Friedrich Hollaender von 1931: „Ob es regnet, ob es hagelt,/ob es schneit oder ob es blitzt./ Ob es dämmert, ob es donnert,/ ob es friert oder ob du schwitzt./ Ob es schön ist, ob’s bewölkt ist/ ob es taut oder ob es giesst/ ob es nieselt, ob es rieselt./ Ob du hustest, ob du niest: An allem sind die Juden schuld!“
Die Provokation ist Absicht.
„Die ganze Wahrheit . . . Was Sie schon immer über Juden wissen wollten“: Jüdisches Museum Berlin, Tel. +49 30 25 993 300, Mo. 10 – 22 Uhr, Di. bis So. 10 bis 20 Uhr (bis 1. September).
Kategorien:Kultur




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