Wann kommt das Solardach auf Schweizer Synagogen?


icz_zuerich_gemeindehausSobald es um ökologische Belange geht, fallen bald trendige Schlagwörter: Nachhaltigkeits- und Ressourcenmanagement, Ökobilanz, Energieeffizienz. Ökologie trifft den Nerv der Zeit. Eine Umfrage zeigt, welche Relevanz dem Thema in den jüdischen Gemeinden tatsächlich zukommt.
 
Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit sind in unseren Tagen zentral und werden rege diskutiert, wie zahlreiche Debatten zur Klimaerwärmung, zur drohenden Ressourcenverknappung oder zu beunruhigenden demografischen Zukunftsszenarien belegen. Neue Technologien, Produkte und Lösungsstrategien sind gefordert, um diesen Entwicklungen proaktiv zu begegnen: Richtlinien für eine ökologisch vertretbare Indus-triepolitik werden erarbeitet und Konzerne mit diversen marktwirtschaftlichen Anreiz­instrumenten energieeffizient ausgerichtet. Immer deutlicher positioniert sich Ökologie als eigenständiger, umfangreicher Fach- und Marktbereich.

Auf die gesellschaftliche, wirtschaftliche und umwelttechnische Tragweite ökologischer Problemstellungen reagieren auch kirchliche Vereinigungen: Als erstes Schweizer Gotteshaus erhielt 2011 die Kirche Halden im Kanton St. Gallen auf dem südlichen Kirchendach eine voll integrierte Photovoltaikanlage, die rund 44 200 Kilowattstunden Sonnenenergie pro Jahr produziert, was dem Verbrauch von etwa zwölf Haushalten entspricht. Weitere Beispiele folgten in der Schweiz, aber auch in Deutschland. Wäre Ähnliches in jüdischen Gemeinden denkbar? In welchen Bereichen werden ökologische Prinzipien innerhalb des jüdischen Gemeindelebens umgesetzt?

Ökologie auf der Checkliste
«In Bern ist das Thema Ökologie schon länger präsent», meint Jacob Guzman, Präsident der Verwaltungskommission der Jüdischen Gemeinde Bern (JGB). Verschiedene konkrete Energiesparmassnahmen seien ergriffen worden: «In den letzten Jahren haben wir beispielsweise die Fenster des Gemeindehauses durch Isoliergläser ausgewechselt. Und auch auf der Aussenseite der Kunstglasfenster in der Synagoge wurden Isolierfenster angebracht», sagt Guzman. Während der Woche werde ausserdem die Heizung jeweils reduziert und an den Radiatoren seien Dannvossventile montiert worden, welche die Wärmeabgabe der Heizkörper regulieren. In der Synagoge seien 2011 alle Glühbirnen durch Sparlampen ersetzt worden, was die Gemeinde damals über 3000 Franken gekostet habe. «Natürlich legen wir auch grossen Wert auf Abfalltrennung», meint Guzman weiter. Ein weiterer zu nennender Aspekt sei das Friedhofsareal. Die Abdankungshalle des Friedhofs sei praktisch nicht mehr beheizt und werde auch nicht gekühlt. Das Wächterhaus auf dem Friedhofsgelände – einzigartig in ganz Europa – wurde vor einigen Jahren renoviert und sei nun ebenfalls besser isoliert als vorher. «Nicht, das wir ‹grün› sind, aber wenn wir etwas unternehmen, berücksich-tigen wir ökologische 
Gesichtspunkte. Oder anders gesagt: Ökologie hat nicht die erste Priorität, steht aber auf der Checkliste», sagt Guzman.

Ähnlich tönt es bei der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB). Joel Weill, Präsident der dortigen Verwaltungskommission, erzählt, dass auch die IGB vor allem stromsparende Massnahmen ergriffen habe, was Glühbirnen und die Heizung angehe. «Sonst ist Ökologie zurzeit jedoch kein grosses Thema innerhalb der Gemeinde», sagt Weill. Die Sanierung einer grösseren Liegenschaft der IGB stehe zwar an: «Inwiefern ökologische Aspekte eine Rolle spielen werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht festgehalten werden. Das Projekt wird noch weiter ausgearbeitet, es befindet sich derzeit in einer frühen Phase, weshalb wir nicht näher darauf eingehen können.»

Die Räumlichkeiten – 
entscheidendes Kriterium
Migwan, die Liberale jüdische Gemeinde Basel, befinde sich momentan in einer Ausnahmesituation ohne eigene dauerhaft nutzbare Räumlichkeiten, sagt Vorstandsmitglied Peter Jossi. Derzeit mietet Migwan punktuell für die verschiedenen Anlässe Räumlichkeiten, vor allem in der Villa Crescenda an der Bundesstrasse. «Wahrscheinlich wirkt sich dies sogar positiv auf unseren ‹ökologischen Fussabdruck› aus. Für das Gemeindeleben bildet dies jedoch keine sozial nachhaltige Lösung. Migwan braucht so bald wie möglich wieder dauerhaft nutzbare eigene Räumlichkeiten», so Jossi.

Unabhängig von dieser aktuellen Situation sei Migwan bemüht, das Thema Ökologie anzugehen und bestmöglich in das Gemeindeleben zu integrieren. «Dies betrifft nicht nur die Infrastruktur, sondern auch andere Bereiche wie beispielsweise die Speisegebote», sagt Jossi. Am Europäischen Tag der jüdischen Kultur wird Migwan an einer Diskussion zum Thema «Öko-Kaschrut: Gibt es das – und wer hat’s erfunden?» mit Rabbiner Bea Wyler, Ben Rosenbaum und Jossi vertreten sein. 
Öko-Kaschruth definiere den Ansatz, die jüdischen Speiseregeln hinsichtlich einer ökologisch vertretbaren Lebensmittelproduktion neu auszulegen. Der Begriff ist in den USA entstanden, innerhalb der verschiedenen amerikanischen jüdischen Erneuerungsbewegungen – auch als Jewish Renewal Movement bezeichnet. Mittlerweile habe auch die Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) in Deutschland die Thematik Öko-Kaschrut in ihren Grundsatzpositionen integriert, zusammen mit weiteren zeitgemässen Fragen bezüglich Ernährung, Ökologie und Nachhaltigkeit. Dies unterstreiche die offizielle Relevanz der Thematik für die jüdischen Gemeinden in Europa, meint Jossi.

Auf der Website der ARK wird für eine bewusste Ernährung geworben, die auf einem nachhaltigen Konzept der Gerechtigkeit («zedek») gründet. In den USA ist hierfür innerhalb der jüdischen Lebensmittelbranche bereits ein Gütesiegel eingeführt worden: Koscher sind danach nur Lebensmittel, die zusätzlich zu den rituellen Kriterien auch sozialen und ökologischen Anforderungen wie beispielsweise der gerechter Entlohnung oder einer artgerechten Tierhaltung entsprechen. Für die konkrete Praxis der Gemeinden ist auf jeden Fall wichtig, dass heute viele Tools im Sinne eines umfassenden Nachhaltigkeitsmanagements zur Verfügung stehen würden, meint Jossi. Wichtige Handlungsbereiche sieht er in der Materialwahl bei Aus- und Umbauten, in der Nutzung erneuerbarer Energiequellen für die Energieversorgung wie auch in der Einhaltung von Qualitätsstandards bei Verbrauchsgütern wie Büromaterialien oder eben in der Gastronomie.

Die Räumlichkeiten der Jüdisch Liberalen Gemeinde Or Chadasch (JLG) in Zürich sind an einen Gebäudekomplex angegliedert. «Betreffend Gebäudeunterhalt können wir deshalb nur beschränkt eigenhändig agieren», meint Alex Dreifuss, Präsident der JLG. «Unsere Büros sind jedoch bewusst ohne Klimaanlage ausgestattet. Lediglich die Synagoge kann an besonderen Tagen – dies aber meist nur während der hohen Feiertage im September – gekühlt werden. In den Büroräumlichkeiten wurden zudem nur Linoleum- und keine Kunststoffböden angebracht. Ebenso legen wir Wert auf ein komplettes Recycling und Abfalltrennung.» In den Gemeinderäumen würden ausschliesslich Sparlampen verwendet werden, während in den Büros Neonlampen angebracht seien. «Das, was wir beeinflussen können, wird nach ökologischen Gesichtspunkten veranlasst», so Dreifuss.

Wie ökologisch 
war der Umbau der ICZ?
«Wir kooperieren mit der Firma RVR, welche sich im Bereich Umweltmarktwirtschaft einen Namen gemacht hat und 
unter anderem auch den Tiberias-Schweizerwald in Israel mit unterstützt», sagt Frédéric Weil von der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ). So seien beispielsweise die Toilettenanlagen der ICZ von RVR produziert worden: Die Handrollen seien so angefertigt, dass nur halb so viel Stoff ausgerollt werden könne wie bei herkömmlichen Herstellern. «Seit dem Umbau in der ICZ haben wir zudem von Erdöl auf Erdgas umgestellt», so Weil. Im Zuge des Umbaus sei zudem eine Anlage angebracht worden, mit der man entweder heizen oder kühlen könne. «Die Anlage ist computergesteuert und kann mit einem Regler in den Büroräumen nur um plus oder minus drei Grad individuell eingestellt werden. Damit kann eine ausgeglichene Temperierung gewährleistet werden, die auch energiesparender ist», sagt Weil. Die ICZ verfüge nun zudem über drei verschiedene Beleuchtungstypen: die grossen Leuchten im Eingangsbereich würden ausschliesslich mit Sparlampen betrieben, während ein grosser Teil der Beleuchtung, vor allem im Foyer und im Gemeindesaal, mit energiesparenden LED-Lampen und teils auch mit Halogenbirnen ausgestattet worden sei.

Schutz der Schöpfung
«Gott hat die Welt erschaffen, wir sind demnach verpflichtet, die Schöpfung zu achten und die Umwelt zu schützen. Dies ist Aufgabe der gesamten Menschheit und jedes einzelnen Juden», so Rabbi Sholom Rosenfeld von Chabad Esra. Die Hauptaufgabe bezüglich jenes Themas versteht Rosenfeld deshalb in der allgemeinen Sensibilisierung: «Wir müssen unsere Aufgaben gegenüber der Umwelt verstehen und wahrnehmen.»  (von Naomi Kunz, Tachles)

 
Bild: Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ)


Kategorien:Gesellschaft

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