Unsere Weisen lehrten uns, wenn Licht die Dunkelheit vertreibt, kommt irgendwann eine neue Dunkelheit. Wenn die Dunkelheit jedoch in Licht verwandelt wird, kann keine Dunkelheit das Licht besiegen.
Thora-Parascha
Lesung; „Matot / Massaei“
Wochenabschnitt: 4. Mose 30,2 – 42
Haftara-Prophetenlesung: Jeremia 1:1 – 2:3
Live Streaming unter https://www.youtube.com/channel/UC6m5EJQu3x04EvapqMpG3vg
Mattot – Psalm 111
Landzuteilung
Psalm 111 ist, wie der erste Vers erklärt, ein Dank-Lied: „Von ganzem Herzen danke ich dem Ewigen in der Redlichen Rat und Gemeinde.“ A. Chacham meint, dieser Psalm sei eine frühe Version des heute üblichen Tisch-Gebets.
Wo finden wir einen Berührungspunkt zwischen Psalm 111 und dem Wochenabschnitt Mattot? In beiden ist von Landzuteilung die Rede. Vers 6 des Psalms lautet: „Seiner Werke Macht hat er kund getan seinem Volke, ihnen zu geben das Erbe der Völker“. Diesen Vers hat Raschi in seinem Kommentar zum allerersten Vers der Tora zitiert und wie folgt erläutert: „Warum beginnt die Tora mit der Schöpfungsgeschichte? Sollten die Völker der Welt zum Volk Israel sagen: Ihr seid Räuber, denn ihr habt die Länder der sieben Völker erobert, können sie ihnen erwidern: Die ganze Erde gehört Gott, er hat sie geschaffen und dem gegeben, der ihm gefiel. Nach seinem Willen hat er sie ihnen gegeben und nach seinem Willen hat er sie ihnen genommen und uns gegeben“ (siehe auch Raschi zu Vers 6). Nach Raschis Erklärung hat Gott seinem Volk Land zugeteilt.
Im Wochenabschnitt Mattot lesen wir, dass die Stämme Reuben und Gad östlich des Jordans siedeln wollten. Sie begründeten ihren Wunsch wie folgt: „Atarot und Dibon und Jaser und Nimrah und Cheschbon und Elaleh und Sebam und Nebo und Beon, das Land, das der Ewige geschlagen hat vor der Gemeinde Israel, ist ein Land für Herden, und deine Knechte haben Herden. Und sie sprachen: Wenn wir Gnade gefunden in deinen Augen, werde dieses Land deinen Knechten gegeben zum Besitz, führe uns nicht über den Jordan“ (Bamidbar 32, 3 – 5). Anzumerken ist, dass sie Land haben wollten, das der Ewige Abram zugesagt hatte, als er mit ihm einen Bund schloss (siehe Bereschit 15, 18; siehe auch Bamidbar 32, 10 – 11).
Im Tischgebet heisst es: „Wir danken Dir, Ewiger, unser Gott, dass Du unseren Vätern ein herrliches, gutes und geräumiges Land hasst zuteilwerden lassen…“. Damit erfüllen wir das Gebot: „Wenn du gegessen hast und dich gesättigt, sollst du segnen den Ewigen, deinen Gott, für das gute Land, das er dir gegeben“ (Dewarim 8, 10). (Von: Prof. Dr. Yizhak Ahren)
Sidra Mattot
Das Buch der Konflikte
Das vierte Buch Mose, Bemidbar, wird im Talmud Chumasch HaPekudim, das Buch der (Volks)Zählungen genannt, was mit dem lateinischen Namen ‘Numeri’ übereinkommt. Es wird tatsächlich über mehrere Volkszählungen berichtet, doch springen die vielen Konflikte von denen das Buch durchzogen ist, mehr ins Auge. Das Volk lehnt sich gegen Mosche auf, Individuen widersetzen sich gegen die Brüder Mosche und Aharon, Mosche streitet mit Gott, und Israel führt Kriege mit andern Völkern. In der dieswöchigen Sidra Mattot kommt nun aber ein auffallendes Ende an die das Buch als einen roten Faden durchziehenden Streitigkeiten.
Wir lesen (Kapitel 32) wie das Volk sich der Grenze des verheissenen Landes nähert. Die Stämme Gad, Ruven und die Hälfte des Stammes Menasche, treten an Mosche heran: Das Land östlich des Jordanflusses sei wunderbar geeignet für ihre Herden und deshalb würden sie nicht mit dem Rest des Volkes über den Jordan, auf die westliche Seite, ziehen. Mosche reagiert furios. Er wirft ihnen vor, das Volk bei der Eroberung des verheissenen Landes im Stich zu lassen, ja sogar, dass sie damit die Einnahme des Landes torpedieren würden. Mosche vergleicht sie mit den Kundschaftern, die mit äusserst negativen Geschichten über das Land, das sie erforschen sollten, zurückgekommen sind und, dass Gott deshalb erst der nächsten Generation erlaubt habe, das Land einzunehmen. Als Mosche ausgetobt ist, beruhigen die Ruveniter, Gaditer und Menaschiter ihn mit einem Plan: Sie brächten zuerst Familie, Gut und Habe östlich des Jordanflusses in Sicherheit, wonach ihre Krieger an der Front für die Einnahme des Landes kämpfen würden. Sie versprechen, erst dann in ihr Gebiet zurückzukehren, wenn alle anderen Stämme im eigenen Gebiet angesiedelt seien. Mosche akzeptiert den Plan.
Aus dieser Geschichte wurde ein halachisches Prinzip abgleitet: ‘Se nehene, wese lo chasser’. «Der Eine hat Nutzen und der andere keinen Schaden» (Talmud Bawli Baba Kama 20b). Der Grundgedanke dieses Prinzipes ist, dass Konflikte weder notwendigerweise Sieger und Verlierer hervorbringen, noch unbedingt zu einer ‘win-win’ Situation führen müssen. Dieses talmudische Prinzip lehrt, dass eine Partei ohne zu verlieren, generös gegenüber der anderen Partei sein kann, auch wenn die andere Partei dabei gewinnt. Die zweieinhalb Stämme erlangen trotz Mosches Wut ihr Ziel, indem sie den von Mosche vorausgesagten Schaden für das Volk Israel ausgleichen. Das Buch ‘Bemidbar’, ‘in der Wüste’ oder auf lateinisch ‘Zählungen’, das dem Inhalt nach ‘sefer hameriwot’ ‘Buch der Konflikte’ hätte heissen können, kommt also am Ende aller Streitigkeiten mit einer beeindruckenden konfliktlösenden Vorgehensweise.
Dieser Schabbat ist der erste der drei Schabbatot vor Tischa BeAw. In den jeweiligen Haftarot wird die Frage nach unserem eigenen Anteil bei der Zerstörung der beiden Tempel und anderen Katastrophen thematisiert. Wäre mit einer anderen Haltung in den unterschiedlichen Umständen, die zu Zerstörung, Verfolgung, oder Exilierung führten, ein anderer Ausgang möglich gewesen? Könnte das noble Prinzip ‘der eine hat Nutzen, der andere keinen Schaden’ wirkungsfähig sein, oder ist dies zu idealistisch gedacht? In einer Welt, in der Konflikte an der Tagesordnung sind, bietet es ein auf alle Fälle anzuzielendes Streben, wenn auch ohne Garantie auf Erfolg.
Schabbat schalom,
Rabbiner Ruven Bar Ephraim, JLG Zürich
PARASCHAT HASCHAWUA
mattot.3.j.5782.pdf / mattot.haftara.5782.pdf
Kategorien:Gesellschaft
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