Erneut sind gestern Abend in Israel Zehntausende für eine gerechtere Sozialpolitik auf die Strasse gegangen – dieses Mal allerdings nicht in der Protesthochburg Tel Aviv, sondern in kleineren Städten. Dabei zeigt sich, wie heterogen die Protestbewegung ist – alt und jung, Israelis und Araber.

Wie hier in Berscheeba gingen erneut Zehntausende auf die Straßss. (Foto: AFP)
In Beerscheba ziehen an diesem Abend die Beduinen zum Protest. Sie sind israelische Araber, die sich vom israelischen Staat um ihr Land betrogen fühlen. Ein älterer Mann, um die 70, mit einer weissen Kufiya um den Kopf, trägt ein selbst geschriebenes Plakat vor sich her. Darauf steht: „Nein, zum Rassismus.“ Auch hier im Süden geht es also nicht mehr nur um Mieten und Milchpreise.
„Der Negev fordert soziale Gerechtigkeit“, skandieren Jugendliche, Familien und Ehepaare – hier, am nördlichen Rand der gleichnamigen Wüste. Die israelische Sozialbewegung hat den Protest in die Peripherie getragen – so heissen die Städte und Orte, die nicht zum Zentrum Israels gehören. Auf Beerscheba treffe diese Beschreibung ganz gut zu, sagt Judith. „Beerscheba ist Peripherie. Es hat eine schlechte Verkehrsanbindung. Es gibt nur alte Schienen, der Zug braucht eineinhalb Stunden nach Tel Aviv und wechselt sogar einmal die Spur – ungefähr wie im 19. Jahrhundert. Die Regierung hat nichts investiert, um die Stadt zu einem Zentrum zu machen.“
Judith ist 60 Jahre alt und kommt aus Omer, einem Villenvorort mit dem höchsten Lebensstandard in Israel. Sie redet schnell und die Bewegungen ihrer Hände unterstützen jedes Wort. So muss es aussehen, wenn jemand nach langer Zeit seine Stimme neu entdeckt hat. Vergangenen Samstag war Judith in Tel Aviv dabei. An diesem Wochenende ist es umgekehrt: Anhänger der Sozialproteste sind mit Bussen und Autos vom Strand in die Wüste gefahren. So wie Asaf, der sagt, es gebe gute Gründe: „Weil ich denke, dass das ein Protest des ganzen Volkes ist. Es gab eine gewaltige Demo vergangene Woche in Tel Aviv und ich denke, dass es wichtig ist, dass auch in der Peripherie zu zeigen. Ich bin mit etwa 50 Freunden hierher gekommen.“
Download der Videodatei – Der Protest erreicht die Wüste –
Sharon ist schon eine alte Bekannte des Protestes. Auf ihrem Pappplakat steht: „Die unsichtbare Hand hat mir den Mittelfinger gezeigt.“ Die Soziologiestudentin aus Tel Aviv hat den Spruch vor drei Wochen zu Pappe gebracht und Sharon meint natürlich die Regierung. Zu Beginn des Abends ist sie etwas enttäuscht: Sharon hatte in Beerschheba auf mehr Teilnehmer gehofft. „Es sieht so aus, als würde sich die Regierung einen Dreck um uns scheren“, meint Sharon. „Das ist es, was mir am meisten Angst macht. Ich weiß, dass die Leute wirklich für den Kampf sind, ich weiss, dass es viel Zustimmung gibt. Auch wenn nicht so viele hierhergekommen sind, weiss ich trotzdem, dass sie es alle unterstützen. Mein Problem ist, wie uns die Regierung behandelt.“
In ganz Israel sind es am Ende aber wieder mehrere zehntausend Menschen, die auf die Strasse gehen und einen Sozialstaat fordern. So wie in Beerscheba gibt es auch in Haifa, in Afula, Eilat und Netanjah grosse Bühnen, Sprechchöre, Redner und Konzerte.
Mitten im Protest stehen Beni und Yariv und drehen ein Musikvideo. „Das ist ein Lied darüber, dass das Volk aufwacht und mehr Transparenz fordert, mehr Verantwortung“, meint Yariv. „Das Volk glaubt einfach niemanden mehr, nicht den Handyfirmen, nicht der Regierung und nicht den Banken. Wir wollen, dass sie sich unser Vertrauen erwerben, nicht erschleichen.“ (Von Thorsten Teichmann, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv)
Kategorien:Gesellschaft
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