Rechtzeitig für den allmählich in seine Endphase tretenden israelischen Wahlkampf liess Yuval Diskin, der Amtsvorgänger von Yoram Cohen als Chef des Inland-Geheimdienstes Shabak (Sherut Bitachon Klali – allgemeiner Sicherheitsdienst) am Wochenende eine publizistische Bombe platzen. In einem umfassenden Interview mit der Zeitung «Yediot Achronot» – dem ersten, das er nach seinem Ausscheiden aus dem Shabak gab – übte er schärfste Kritik an Regierungs- und Likudchef Binyamin Netanyahu, an Verteidigungsminister Ehud Barak, aber auch ex-Aussenminister Avigdor Lieberman. «Meine Kollegen und ich fühlten keine Sicherheit beim Gedanken an das Können Netanyahus und Baraks, eine Aktion gegen Iran anzuführen.» Die beiden Männer seien nicht in erster Linie von der Sicherheit der Nation geleitet worden, sondern von «persönlichen, opportunistischen und kurzsichtigen Interessen». Dem Regierungschef warf Diskin unter anderem vor, furchtsam zu sein, einen Zick-Zackpolitik zu betreiben, und keine Verantwortung zu übernehmen. «Wir stehen vor einer Führungskrise, einem Krise bezüglich der Wertvorstellungen, und einer vollkommenen Geringschätzung der Öffentlichkeit.»
Laut «Yediot Achronot» fühlte Diskin die Notwendigkeit, zu sprechen, bevor es zu spät sei, bevor die nächste Intifada den Israeli ins Gesicht platze, bevor Israel sich in einer Aktion gegen Iran verheddere, und bevor unfähige Führer die Nation in den Abgrund reissen würden. Diskin, der unter anderem von einer höchst geheimen Sitzung im Jahr 2010 zum Thema Iran berichtete, an der Netanyahu, Barak und Liberman nicht nur den Sitzungsraum mit Zigarettenrauch verqualmten: Der Verteidigungsminister tat sich auch durch den Genuss von Alkoholika hervor. In Bezug auf die Palästinenser wirft der ex-Geheimdienstler Netanyahu vor, die «Position der Hamas aufgewertet und Abu Mazen gedemütigt» und überhaupt viele Chancen im Palästinenserkonflikt vergeben zu haben. Netanyahus Vorgehensweise hätten die ohnehin schon geringen Friedensaussichten in noch weitere Ferne gerückt. – Was die Iran-Krise betrifft, bedurfte es laut Diskin seine Opposition und die des damaligen Generalstabschefs Gabi Aschkenazi und von Meir Dagan, dem damaligen Chef des Mossad-Geheimdienstes, um Netanyahu und Barak davon abzuhalten, gegen die iranischen Atominstallationen loszuschlagen, ohne das Ansinnen zuerst den zuständigen politischen und parlamentarischen Instanzen vorzulegen.
Die Reaktionen auf das Interview liessen nicht auf sich warten. Das Büro Netanyahu spricht vom «persönlichen Frust» des ex-Shabak-Chefs, der nach der Beendigung seiner Kadenz im Inland-Geheimdienst nicht, wie er es gehofft hatte, zum Chef des Mossads gewählt worden war und deswegen auf den ersten passenden Moment gewartet habe, um sein Schweigen zu brechen. Shaul Mofaz hingegen, ehemaliger Generalstabschef und heute Vorsitzender der sich an den Wahlen vom 22. Januar wahrscheinlich aus dem aktiven parlamentarischen Geschehen unfreiwillig verabschiedenden Kadima-Partei, schenkt Yuval Diskin Glauben: «Ich war Zeuge des obssesiven Willens von Netanyahu und Barak, Iran anzugreifen.» Vize-Regierungschef Moshe Yaalon (Likud) dagegen bedauert Diskins Äusserungen: «Netayanhu führt die heikelsten Diskussion seriös und verantwortungsbewusst.» – Die vom ehemaligen Chef des Shabak-Geheimdienstes vom Zaune gebrochene Debatte wird wohl noch eine Weile andauernd, doch den Sieg Netanyahus und des Rechtsblocks an den kommenden Wahlen wird sie kaum verhindern können.
Kategorien:Politik

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