Warum Israel bei Start-ups erfolgreicher ist


img263794Von MARCUS PFEIL

Schon wieder macht sich Philipp Rösler auf den Weg, Neuland zu beschreiten. Vor vier Wochen joggte er ein paar Tage lang durchs Silicon Valley, heute hospitiert er in Israel. Schliesslich wird nirgendwo auf der Welt so eifrig gegründet wie dort: Zwischen Tel Aviv, Herzliya, Haifa, Jerusalem und Beersheba konzentriert sich eine Dichte von Start-ups, Wagniskapitalgebern und Elite-Unis, wie sie Rösler nur aus dem kalifornischen Silicon Valley kennt, nicht aber aus dem heimischen Berlin.

3.850 Start-ups wachsen in Israel, 560 davon entstanden allein im vergangenen Jahr. Auf jeweils 1844 Einwohner kommt in Israel ein Gründer, haben Dan Senor und Saul Singer, Autoren des Buchs „Start-up-Nation Israel“ ausgerechnet. 273 Dollar pro Kopf pumpten Investoren im Jahr 2011 in junge israelische Firmen, in der Schweiz und den USA waren es nur etwa 70 Dollar, in Deutschland gerade einmal 21 Dollar.

546 israelische Tech-Firmen sammelten allein 2011 2,14 Milliarden Dollar bei Investoren ein. Kein Wunder, dass an der US-Technologiebörse Nasdaq mehr Unternehmen aus dem kleinen Land notieren als aus allen europäischen Ländern zusammen. Vor allem aber hatte Tel Aviv im Gegensatz zu Berlin schon seinen Milliardenexit: Anfang Juni bezahlte Google eine Milliarde Dollar für Waze, eine Firma, die eine kostenlose Navigations-Anwendung für Smartphones entwickelt hat, bei der sich die Nutzer gegenseitig vor Staus warnen können. Es gibt also gute Gründe für Röslers Reise in den Mikrokosmos im Nahen Osten:

1. Der Markt an sich

Israels Binnenmarkt ist so klein, dass es für ICQ, Face.com, Mobli, Wisestamp, Boxee oder nun für Waze von Tag eins an Pflicht war, zu internationalisieren. Deutsche Start-ups indes fühlen sich daheim erst einmal ziemlich wohl und definieren Expansion deshalb viel zu oft als zaghaften Versuch in Österreich.

2. Die Liebe zur Technik

45 Prozent der Israelis haben eine abgeschlossene Universitätsausbildung. Der Anteil der Betriebswirte unter den Gründern ist deutlich geringer als in Deutschland, zumindest ist die Einsicht, dass Entwickler das Produkt verstehen müssen, und das Gründerteam das, was die Programmierer machen, verbreitet.

Das Technik-Know-how der Israelis zieht immer mehr global operierende Konzerne in den Nahen Osten, Google, Ebay, Intel  haben dort längst Forschungszentren aufgebaut. Der US-Chiphersteller ist mit über 6.000 Mitarbeitern grösster Arbeitgeber des Landes. Intel hat in Haifa etwa den 8088-Prozessor, Herzstück der ersten PC, und die Notebook-Plattform Centrino entwickelt.

3. Armee als Brutkasten

Ihren ausgeprägten Hang zur Technik haben die meisten israelischen Gründer während ihres dreijährigen Wehrdienstes entwickelt. Zumindest wird die PR-Abteilung der israelischen Armee nicht müde, auf ihre Rolle beim Boom der Tech-Branche hinzuweisen. Aber es ist nicht übertrieben, dass die Armee zum Brutkasten für Hightech geworden ist. Für die Buchautoren Senor und Singer sind es vor allem die zahlreichen Eliteeinheiten der Streitkräfte, die den Unterschied machen. Allein die Veteranen der legendären „8200″ haben in den vergangenen Jahren mehr Tech-Firmen gegründet haben als die Absolventen der Business Schools im Land.

So kamen etwa einige der Gründer des Computer-Chatdiensts ICQ, den AOL 1998 für 407 Millionen Dollar kaufte, aus der Aufklärungseinheit. Schon vor zehn Jahren bemerkte die Financial Times, dass die Spionageeinheit wichtiger für das Land sei als der Geheimdienst Mossad, täglich werden von ihnen riesige Datenmengen aus Aufklärungsdrohnen und Spionagesatelliten oder den Kommunikationsnetzen anderer Staaten erfasst und ausgewertet. Sogar der Computerwurm „Stuxnet“ soll 2010 von den Soldaten der „8200″ in Umlauf gebracht worden sein.

4. Das kluge Förderssystem

Neben dem ICQ-Exit 1998 gilt vor allem das staatliche Yozma-Programm als Wiege des heutigen Gründerbooms in Israel. Das von 1991 bis 1997 durchgeführte Programm gilt unter Wissenschaftlern als Meilenstein für die Entwicklung des gesamten israelischen Venture Capital-Marktes, der zuvor praktisch nicht vorhanden war. Von insgesamt 100 Millionen Dollar flossen in den neunziger Jahren 20 Millionen über den Yosma 1-Fonds direkt in Beteiligungen an Start-ups, 80 Millionen allerdings über eine Dachfonds-Konstruktion in private Fonds.

Über diesen Weg hebelte Yozma bis 1996 zehn Fonds von israelischen Banken oder Versicherungen mit je acht Millionen Dollar, über die insgesamt mehr als 260 Millionen Dollar eingeworben und in 164 Tech-Firmen investiert wurde, immer unter der Bedingung, dass auch ein international erfahrener Investor mit an Bord sei. Bei erfolgsversprechenden Start-ups konnten die einheimischen Banken und Versicherungen innerhalb von fünf Jahren die Option ziehen, den Staat zu banküblichen Zinsen heraus zu kaufen. Derart staatlich stimuliert erwirtschafteten die Yosma-Fonds durch Übernahmen oder Börsengänge eine Exit-Rendite von über 56 Prozent. Die meisten der Fonds laufen noch heute.

Über den Autor

Marcus PfeilMarcus Pfeil ist freier Journalist in Berlin. Für das Wall Street Journal Deutschland beobachtet er die Entwicklung der Startup-Szene in der Hauptstadt und berichtet darüber alle zwei Wochen in der Kolumne „Gründerjahre“.

(Quelle: Wall Street Journal Deutschland)



Kategorien:Wirtschaft

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