Von Uzi Baram
Schauen wir uns doch einmal kurz den heute so sehr verbreiteten Satz an: «Ein Palästinenserstaat neben dem Staat Israel». Dieser Satz, der eine klare diplomatische Position zum Ausdruck bringt, ist im Laufe der Jahre zum Symbol von Betrug, Heuchelei und Naivität geworden.
Wenn rechtsgerichtete Sprecher vor einigen Jahren noch sagten, einen Palästinenserstaat werde es nie geben, dann wussten sowohl Gegner als auch Unterstützer, wo diese Sprecher standen. Heute sagen rechtsgerichtete Sprecher genau das Gegenteil, doch die Bedeutung ist beinahe identisch.
Ich hätte mich nicht auf diesen Satz versteift, würde ich nicht glauben, dass er besser als alles andere die Revolution zum Ausdruck bringt, die wir durchmachen – vom Zeitalter der ausgedrückten Unschuld hin zum Zeitalter der Finesse und des Ausweichens.
Als Premierminister Binyamin Netanyahu 2009 vom «Palästinenserstaat neben dem Staate Israel» sprach, reagierte die Rechte mit Schock auf die Worte und die Linke mit grosser Zufriedenheit. Doch allmählich wandelte sich die Stimmung. «Natürlich, das hat er gesagt», erklärten Kommentatoren. «Er machte es aber von der Bedingung abhängig, dass die Palästinenser das Recht Israels anerkannten, als jüdischer Staat zu existieren, und dem werden die Palästinenser nie zustimmen.» Und wenn Sie auf der Strasse Passanten fragen, ob sie denken, dass der Premier bereit sei für einen Deal, der zur Gründung eines Palästinenserstaates neben Israel führen würde, dann würden viele sicherlich antworten, dass er das gewiss gesagt hat, es aber nicht wirklich meinte. «Netanyahu hofft, dass die andere Seite es verunmöglichen wird.»
Kürzlich sprach ich mit Leuten, dem innerem Zirkel um Netanyahu angehören und sich mit Aussenpolitik und Verteidigungsangelegenheiten befassen. Keiner von ihnen konnte mit Sicherheit sagen, was der Premierminister wirklich will. Einer von ihnen sagte: «Er spielt ein kompliziertes Pokerspiel mit der Administration Obama, und dabei hält er seine Karten eng zu seiner Brust. Vizeverteidigungsminister Danny Danon irrt in anderen Worten nicht in seiner Annahme, dass der Premier gar nicht will, dass ein Palästinenserstaat entsteht, genauso wie Justizministerin Tzippi Livni nicht irrt, wenn sie animmt, dass Netanyahu ihre Bemühungen für den Frieden unterstützt.
Das wirklich Besorgnis erregende Problem ist nicht nur die Benutzung einer doppeldeutigen Sprache in öffentlichen Verlautbarungen, sondern mehr noch die Tatsache, dass dies die Ansicht verstärkt, dass Politiker und Staatsmänner Betrüger sind, die nicht die Wahrheit sagen. Wir wussten immer, dass es eine Schattenpolitik gab, deren Aufgabe darin bestand, Substanz und Meinungen zu verschleiern. Wir wussten aber auch, dass die Glaubwürdigkeit, Konsistenz und die Weisheit einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens unersetzbare Aktiva waren. Heute läuft die verbreitete Botschaft darauf hinaus, dass mangelnde Glaubwürdigkeit eine fast legitime Verhaltensnorm ist.
«Ich will die Bürde der Mittelklasse reduzieren», erklärte Yair Lapid vor den Wahlen. Jetzt schwört er, dass wir, wenn er dies tatsächlich tut «zu einem Griechenland oder Spanien» werden. Jeder weiss, dass Yair Lapid für den Fall, dass Netanyahu eine andere Regierung gebildet hätte, sich von jeder denkbaren Plattform für die Sache der Mittelklasse eingesetzt hätte. Die Öffentlichkeit aber hört es, ist erstaunt und macht weiter. Fakt: Die beiden Personen, die derzeit als Kandidaten für die nationale Führung gehandelt werden, sind Netanyahu und Lapid.
Die neue Normlautet nicht: «Ich habe die Wahrheit gesagt» sondern: «Ich habe rasch gehandelt, nicht wahr?» Der Staatsmann braucht sich nicht vor dem Urteil der Wähler zu fürchten, sollte er lügen oder fälschen. Ein kluger Einsatz von Twitter oder Facebook sowie ein überzeugendes Auftreten am Fernsehen wird viele zum Glauben führen, dass das, was die Wahrheit zu sein pflegte, heute ihr genaues Gegenteil geworden ist.
Vor unseren Augen treten neue Generationen auf, die nicht schlechter als die vorhergegangenen sind, die aber dazu verurteilt sind, in einer trügerischen Wirklichkeit aufzuwachsen, in der die Wahrheit keinen Wert besitzt, demokratische Grundsätze keinen Wert besitzen, und der staatsbürgerliche Einsatz für eine freie Gesellschaft keinen Wert besitzt. Diese Gefahr muss unbedingt vermieden werden, und ebenso wichtig ist es, sie zu bekämpfen.
Uzi Baram ist Journalist und lebt in Israel.
(Erschienen im Tachles)
Kategorien:Politik

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