Zwischen den Gräueltaten des Bürgerkriegs in Syrien und der ruhigen Klinik im Norden Israels liegen gefühlte Welten. Trotzdem werden hier in der Stadt Safed verletzte Syrer behandelt – und das, obwohl sich beide Staaten formal seit 46 Jahren im Kriegszustand befinden. Für den Nahen Osten mit seiner heiklen Gemengelage aus politischen, religiösen und ethnischen Befindlichkeiten ist das ein Tabubruch.
Im Ziv-Krankenhaus von Safed, auf einem felsigen Hügel im nördlichen Galiläa, liegen auch Fatima und ihre Tochter Zahra. Beiden wurden bei einer Explosion in ihrem Heimatort Daraa die Beine zerfetzt. Beide wollen nicht, dass ihre Gesichter fotografiert und ihre echten Namen genannt werden. Dass sie fürsorglich gepflegt werden, lindert ihr Leid zumindest ein wenig.
Fatima jedenfalls ist voll des Lobes über das Krankenhauspersonal. „Sie kümmern sich um uns. Und sie zeigen viel Respekt“, sagt die 41-jährige Mutter von neun Kindern, die nach dem Unglück vor über einem Monat den Kontakt zur Familie verloren hat.
„Die Explosion war ohrenbetäubend“, schildert Fatima den Moment, der ihr Leben veränderte. Sie liegt in ihrem Krankenhausbett und versucht, sich zu erinnern. „Ich war benommen und habe keine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin oder wer mich brachte. Ich erinnere mich bloss, dass mir Leute geholfen und mich hochgehoben haben. Das nächste, was ich wusste: Ich liege in einem israelischen Krankenhaus.“
Fatima kümmert sich um den Haushalt, als eine Mörsergranate ihr Heim trifft. Ärzten zufolge erleidet sie „ein schweres Trauma, mit erheblichen Gewebe- und Knochenverlusten am Sprunggelenk“. Ihrer Tochter zerschmettert es die Knochen in beiden Beinen.
Ausser ihnen wurden seit Beginn dieses Jahres schon 71 verletzte Syrer in Israel behandelt. Viele hat es noch schlimmer erwischt: Im Bett neben Fatimas Tochter Zahra liegt ein 15-jähriges Mädchen, das beide Beine verloren hat. Ein anderer Syrer wird im Nebenzimmer wegen eines Bauchschusses behandelt: Aus seiner geöffneten Bauchdecke hängt Verbandsmaterial, ein Finger wurde von einer anderen Kugel getroffen und musste amputiert werden. „Vermutlich sein Abzugsfinger“, schätzt der Arzt, der ihn für einen syrischen Rebellen hält.
Seit dem Sechs-Tage-Krieg, bei dem Israel 1967 die bis heute besetzten Golan-Höhen eroberte, befindet sich der jüdische Staat völkerrechtlich gesehen im Krieg mit Syrien. Der seit 2011 tobende Bürgerkrieg im Nachbarstaat hat die Spannungen zwischen beiden Ländern weiter verstärkt, viele Israelis haben sich inzwischen aus Angst vor Chemiewaffeneinsätzen mit Gasmasken eingedeckt.
Und im Ziv-Krankenhaus? Dort werden trotz der brisanten Lage keine verletzten Patienten aus Syrien abgewiesen, wie Vize-Direktor Calin Schapira versichert. „Mir ist egal, wo sie herkommen. Wir nehmen sie auf und behandeln sie mit Mitgefühl.“ Medizinische Hilfe für Notleidende gehöre zum Berufsethos.
Die meisten Verwundeten seien unschuldige Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder. Über seine Patienten weiss Schapira nur, dass sie nicht den Streitkräften des syrischen Machthabers Baschar al-Assad entstammen. Israels Armee hat nach eigenen Angaben schon dutzende Verletzte von der rund 40 Kilometer entfernten Waffenstillstandslinie auf den Golan-Höhen in die Klinik gebracht. Wenn sie das Krankenhaus wieder verlassen können, werden die Versehrten wieder an die Armee übergeben. „Die bringen sie zurück nach Syrien, wohin weiss ich nicht“, sagt Schapira.
Dass die Weltgemeinschaft erbittert über den mutmasslichen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien streitet, kann Fatima nicht so recht nachvollziehen. Blut werde schliesslich auch mit konventionellen Waffen vergossen. „Jeder hat Angst vor Luftangriffen und Granaten“, sagt sie und schaut auf ihr geschundenes Bein. „Wir wollen bloss, dass alles vorbei ist, wenn wir wieder nach Hause kommen.“ (JNS und Agenturen)
Kategorien:Nahost

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