Ultraorthodox und trotzdem wild feiern


25136Von: Frau Theresa Breuer

Haushalt, Kinder, Ehemann: Das Leben ultraorthodoxer Frauen in Israel ist streng geregelt. Doch manche feiern auch – in einem Nachtclub nur für sie und ohne Männer.

Einmal im Monat verlässt Yohevet die schwarz-weisse Welt, um ihr Leben mit Farbe zu füllen. Statt ihrer Alltagskluft, dem dunklen, langen Rock und der hellen Bluse, trägt sie dann einen Mini aus Jeansstoff und ein rosa Shirt mit tiefem Ausschnitt. Für ein paar Stunden tauscht sie die Regeln, die ihr Leben in richtig und falsch unterteilen, die Frömmigkeit und die Tugend gegen ein bisschen Anarchie und Exzess.

Mit ihren Männern können sie keinen Alkohol trinken

Yohevet, 25, Mutter von drei Kindern und ultraorthodoxe Jüdin aus Jerusalem, steht in dieser Nacht mit einem Bier auf der Tanzfläche. Die rechte Hand hat sie zur Faust geballt und in die Höhe gestreckt, zum Takt eines israelischen Schlagers schlägt sie Löcher in die Luft. Es ist eng, heiss, laut. Ihre Stirn glänzt verschwitzt. Sie zeichnet ein ungewöhnliches Bild von ihrer Zunft. Und sie ist nicht allein. Über hundert Frauen sind heute Abend gekommen, um „mal richtig einen drauf zu machen“, wie Yohevet sagt.

Alle zwei bis vier Wochen finden an verschiedenen Orten in Jerusalem Partys für ultraorthodoxe Frauen statt. Männer sind ausgeschlossen, alles andere wäre nicht koscher. Auf gemischte Partys dürfen die Frauen nur gehen, wenn es sich um eine Hochzeit handelt. Wer fragt, ob sie ihre Männer um Erlaubnis gebeten haben, an diesem Abend hierher zu kommen, erhält eine klare Antwort. Natürlich sei alles mit dem Mann abgesprochen. Er sei einverstanden, solange sie morgen fit genug sei, sich um Kinder und Haushalt zu kümmern.

Die Perücken und Kopftücher fliegen  

Noch scheint der Morgen weit weg zu sein. Die Tanzfläche ist voll, Frauen halten Zigaretten und Drinks in den Händen. Die meisten haben die Perücken und Kopftücher von sich geschmissen, mit denen ultraorthodoxe Frauen in der Öffentlichkeit normalerweise ihr Haar bedecken. Hier werden Hüften geschwungen, Haare in die Luft geworfen, Lieder mitgegrölt. Aus denen, die im Alltag wie Klone voneinander aussehen, sind an diesem Abend bunte Individuen geworden.

Es ist ein ungewöhnlicher Abend, denn Spass und Freizeit ist Frauen in der orthodoxen Welt selten vergönnt. Für individualistische Europäer klingt ihr Leben wie eine Anreihung von Verzicht und Aufopferung. Sie heiraten jung, bringen im Schnitt sechs bis acht Kinder zur Welt und kümmern sich um den Haushalt. Ausserdem sind sie meist die Alleinverdiener der Familie. In den streng religiösen Gemeinden in Israel arbeiten die meisten Männer nicht, sie widmen ihr Leben dem Studium der Torah, was in ihrer Welt als das höchste Gut gilt. „Wenn du nie ausbrichst, erstickst du irgendwann“, sagt Yohevet, „ich glaube, so geht es vielen Frauen hier.“

„Nicht alle ultraorthodoxen Frauen waren von Anfang an religiös“, erklärt Yael Ben Shushan, „deshalb vermissen sie es manchmal, ein bisschen hedonistisch zu sein.“ Ben Shushan, 32, veranstaltet die Partys. Die geschiedene Frau kommt selbst aus einer streng religiösen Familie, nach ihrer Scheidung hat sie kurz das säkulare Leben mit all seinen Verlockungen für sich entdeckt. Inzwischen hat sie sich wieder der Religion zugewandt. Aber auf das Tanzen möchte sie nicht verzichten. Deshalb hat sie vor zwei Jahren mit den Partys angefangen.

Inzwischen hat sie eine Liste von Frauen, denen sie eine SMS mit Uhrzeit und Veranstaltungsort schreibt. „Der Rest erfährt es durch Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt sie. Plakate aufhängen oder im Internet für die Partys werben ist keine Option. Zwar weiss die ultraorthodoxe Gemeinschaft von den Partys. Aber sie toleriert sie nur unter der Voraussetzung, dass sie nichts von ihnen mitbekommt. „Wir versuchen, diskret zu sein“, sagt Ben Shushan. Deshalb ist auch die Bar, in der sie feiern, weit weg von dem ultraorthodoxen Viertel Mea Shearim, in dem die meisten der Frauen wohnen.

An der Bar steht indes eine Gruppe von fünf Frauen, die sich Whiskey-Shots einverleibt und dabei das Gesicht verzieht. Einige schwanken schon bedrohlich. „Wir trinken ja sonst nie“, sagt Yael, eine junge Mutter Mitte 20. „Mit wem auch, mit unseren Männern? Die trinken keinen Alkohol.“

Der einzige, der hier etwas einsam wirkt, ist der DJ. Seine Kabine ist mit einem grünen Tuch abgehangen, abgeschirmt von den Frauen. Sie sehen ihn nicht, er sieht sie nicht. „Als DJ musst du eigentlich Kontakt zu deinem Publikum haben, um die Stimmung zu erkennen“, sagt er, „woher willst du sonst wissen, ob den Leuten die Musik gefällt und ob sie tanzen.“ Doch er hat Glück, an diesem Abend wird jedes Stück bejubelt. Traditionelle jüdische Musik, Britney Spears, Techno – die Frauen tanzen um des Tanzens willen.

Es ist lange nach Mitternacht, als sich Yohevet wieder ihren langen, schwarzen Rock über den Mini stülpt und ihr Tank Top gegen eine züchtige Bluse tauscht. Sie trinkt noch den letzten Schluck Bier und stellt das leere Glas auf der Theke ab. Dann nickt sie, als müsse sie sich selbst einen Ruck geben. „Zeit, ins richtige Leben zurückzukehren.“

Quelle: BreslevZEIT ONLINE © Alle Rechte vorbehalten



Kategorien:Gesellschaft

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