Wahlbetrug bei Kommunalwahl in Bet Schemesch?


Bet_Schemesch

Konflikt mit den Ultra-Orthodoxen: Säkulare und moderat religiöse Einwohner demonstrieren gegen das Ergebnis der Bürgermeisterwahl. (29. Oktober 2013)

Im israelischen Ort Bet Schemesch wächst eine der grössten orthodoxen Gemeinden heran. Säkulare Juden befürchten vertrieben zu werden – und wollen den frisch gewählten Bürgermeister nicht akzeptieren.

Eine zweifelhafte Bürgermeisterwahl lenkt das Interesse auf die israelische Stadt Bet Schemesch. Hier hat ein ultra-orthodoxer Kandidat offenbar die Wahl gewonnen, aber eine grosse Zahl von Einwohnern will das nicht akzeptieren und wirft ihm Wahlbetrug vor. Der Streit um Bet Schemesch könnte einen Blick in die Zukunft gewähren, denn die israelische Gesellschaft entwickelt sich immer weiter auseinander.

Noch scheint das israelische Modell zu funktionieren: Ein aufgeklärter, westlich orientierter, demokratisch verfasster Staat mitten im Nahen Osten, der gleichzeitig streng gläubigen Juden Raum zum Leben und ihrer Religionsausübung gibt. Problematisch wird es jedoch an Orten wie Bet Schemesch, wo die Orthodoxen mit ihrer hohen Geburtenrate plötzlich in der Mehrheit sind.

Viele Orthodoxe leben in Enklaven

Eigentlich bezeichnen sich gerade einmal zehn Prozent der Israelis als ultra-orthodox. Sie leben meist in Enklaven der Grossstädte – Mea Schearim in Jerusalem ist die am besten bekannte. Sie geniessen Privilegien, denn den sonst unumstrittenen zwei- bis dreijährigen Wehrdienst können sie mit Hinweis auf ihren Glauben verweigern und sie können staatliche Stipendien beantragen, mit denen sie sich oft lebenslang dem Studium der Schriften widmen, ohne der israelischen Volkswirtschaft einen zählbaren Nutzen zu erweisen.

In Bet Schemesch hat nun mit Mosche Abutbul ein ultra-Orthodoxer die Bürgermeisterwahl gewonnen. «Ich glaube, dass sie die Stadt übernehmen wollen», sagt Etti Amos über die Orthodoxen. «Es geht nicht mehr um «Leben und leben lassen». Die wollen uns vertreiben», sagt die 56-jährige säkulare Jüdin, die ihr Leben in Bet Schemesch verbrachte, seit ihre Familie aus Marokko nach Israel emigrierte. Damals war sie noch ein Kind. Ihre eigenen drei Kinder haben Bet Schemesch verlassen, weil sie für sich dort keine Zukunft sahen.

Der Ort mit rund 100’000 Einwohnern liegt am Rand der israelischen Tiefebene, am Fuss des judäischen Gebirges, 30 Kilometer westlich von Jerusalem. Hier hat sich im Laufe der Jahre seit der Gründung in den 1950er-Jahren die typische Mischung aus orthodoxen und säkularen Einwanderern aus Russland, den USA und Juden aus dem Nahen Osten entwickelt. Die Bürgermeisterwahl in der vergangenen Woche hat den orthodoxen Amtsinhaber Abutbul bestätigt, aber viele Bürger wollen bei der Wahl Unregelmässigkeiten wahrgenommen haben und gehen jetzt auf die Strasse.

Beschädigte Wahlurnen

Beschädigte Wahlurnen sind aufgetaucht, etwa 200 gefälschte Personalausweise wurden gefunden und gegen acht Menschen wird wegen Wahlbetrugs ermittelt. Die Wahl ging denkbar knapp aus: Etwas mehr als 900 Stimmen beträgt der Vorsprung Abutbuls vor seinem Herausforderer Eli Cohen. Abutbul fühlt sich im Recht: «Selbst wenn die Wahl in einzelnen Wahlbezirken wiederholt werden muss, wird sich das Ergebnis nicht ändern», sagt er zuversichtlich. Er verweist auf seine Erfolge beim raschen Bau der boomenden Stadt. «Ich baue für jeden», weist er Vorwürfe zurück, er würde Orthodoxe bevorzugen. Dagegen sagt Daniel Goldman, ein gemässigter Orthodoxer: «Wenn das so weitergeht, brauchen wir in fünf Jahren eigentlich nicht mehr zu wählen. Bis dahin werden die ultra-Orthodoxen klar in der Mehrheit sein.»

In den Stadtvierteln von Bet Schemesch, wo die ultra-Orthodoxen bereits in der Mehrheit sind, hängen Schilder, die dazu auffordern, die Bürgersteige nach Geschlechtern getrennt zu benutzen. Frauen werden ermahnt, sich keusch zu kleiden, was hoch geschlossene Blusen mit langen Ärmeln und knöchellange Röcke bedeutet. Ein besonders unfassbarer Übergriff von übertriebener Orthodoxie traf ein achtjähriges Mädchen, das vor zwei Jahren bespuckt und als Hure bezeichnet wurde, weil es sich angeblich «unangemessen» gekleidet hatte.

Die Ultra-Orthodoxen bedauern dies inzwischen und tun es als Einzelfall ab. Eigentlich, so sagen sie, wollen sie alle Juden einladen, mit ihnen zu leben und hegen keinen Groll. Andererseits sehen auch sie Bet Schemesch als die grösste ultra-orthodoxe Stadt Israels in der Zukunft voraus.

Avi Wachnin, ein 47-jähriger Händler, der sein ganzes Leben in Bet Schemesch verbracht hat, sagt, er trauere seit der Wahl. «Sie haben die Stadt übernommen und kriegen staatliches Geld, um zu bauen», sagt er über die Orthodoxen. «Und ich krieg kaum die Raten für meinen Hauskredit zusammen. Aber wir geben nicht auf. Der Kampf hat gerade erst begonnen.»

(Von Aron Heller, AP)



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