Ein besonderer Aspekt der Proteste von Kiew
Die Proteste gegen die aktuelle Regierung in der Ukraine und für eine proeuropäische Orientierung spalten die jüdischen Gemeinden. Vor allem zwischen den Generationen finden sich die Meinungsverschiedenheiten. Auch junge Juden waren in die Proteste involviert.
Bei den Massenkundgebungen in der Ukraine gegen die EU-feindliche Politik der Regierung Yanukovych marschierten, wie sich herausstellt, Juden neben Ultranationalisten. Dmitri Gerasimov, ein jüdischer Klezmer-Musikant, meinte, die Demos wären «wie ein Karneval» gewesen. Er habe keine Aggression in der Menge gespürt. «Es war wie ein öffentlicher Feiertag». Eine ganze Anzahl junger ukrainischer Juden waren in den Protesten engagiert, die zu einer Koalition wurde, in der sich sonst diametral entgegengesetzte Kräfte trafen, wie etwa liberale Jugendliche und Führer von Oppositionsparteien, darunter Mitglieder der ultranationalistischen Svoboda-Partei, deren Anführer Oleh Tyahnybok sonst ganz offen antisemitische Stereotype verbreitet.
«Wenn die Nationalisten wie ich einen Regimewechsel im Land befürworten, dann kann mich nichts davon abhalten, auf die Strasse zu gehen und meine Meinung zu äussern», sagte Evgenia Talinovskaya. «Die Protestbewegung identifiziert sich in erster Linie mit der gebildeten Jugend, und auf die jüdische Jugend in der Ukraine passt diese Beschreibung mehrheitlich.» Die Orientierung der Ukraine nach Europa droht, die jüdische Gemeinschaft zu spalten. Ältere Juden fürchten sich eher vor ukrainischen Nationalisten, deren Abneigung gegen den russischen Einfluss sie veranlasst, sich mehr proeuropäisch zu orientieren.
Die Gemeinde sei «sehr gespalten» bezüglich der Proteste, sagte Meylakh Sheykhet, der ukrainische Direktor der Union der jüdischen Räte in der ehemaligen Sowjetunion. Generell würde die jüngere jüdische Generation die Revolution unterstützen, im Gegensatz zur älteren, sehr prorussischen Generation. Rabbi Pinchas Vishedski, Leiter der jüdischen Gemeinde in der Stadt Donezk, fürchtet, dass die Situation ausser Kontrolle geraten könnte. «Und wo es Chaos gibt, da werden Minderheiten leiden, wie unsere Geschichte uns lehrt.» Auch Moshe Azman, der Chabad-Oberrabbiner der Ukraine, verurteilte die Proteste als gefährlich für die jüdische Gemeinschaft.
Nach der Massenemigration in den siebziger und neunziger Jahren zeigt die jüdische Gemeinschaft der Ukraine keine Anzeichen dafür, das Land zu verlassen. Junge Juden betrachten die Investition in die Zukunft der Ukraine als Teil ihrer Identität. «Ich liebe die Ukraine sehr», sagt Talinovskaya. «Meine Eltern sind hier, meine Freunde sind hier, und ich habe keine Pläne, auszuwandern. Das heisst, dass meine Kinder hier zur Welt kommen werden.» Anna Furman doppelt nach. Für sie sei das Jüdischsein kein Hindernis für ihren überzeugten Einsatz zugunsten der Zukunft der Ukraine. Wie andere Demonstranten glaubt sie, dass eine proeuropäische Orientierung der Ukraine, und die damit verbundenen Reformen, das Land zum besseren verändern werden. «Keiner von uns», betonte Talinovskaya, «denkt, dass ein Beitritt zur EU unser Leben wie ein Märchen magisch verbessern wird, doch wir müssen irgendwo beginnen.»
(JNS / JTA)
Kategorien:Gesellschaft
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