Zentralrat der Juden besorgt über rechte Kräfte in Regierung


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Die nationalistische Partei „Swoboda“ und „Rechten Sektor“ sind jetzt auf der Krim verboten.

Der Zentralrat der Juden zeigt sich beunruhigt angesichts rechter und ultranationalistischer Kräfte in der ukrainischen Übergangsregierung. «Hier muss Europa ganz genau hinsehen, kritisch und ohne Naivität, und darauf achten, dass Rassismus und Antisemitismus in der Ukraine nun nicht etwa salonfähig werden», sagte der Präsident des Zentralrats, Dieter Graumann, am Mittwoch «Handelsblatt Online».

«Unter keinen Umständen dürfen wir hinnehmen, dass in dieser Zeit der radikalen Umwälzungen radikale und menschenfeindliche Gruppierungen ihren Einfluss ausweiten und Minderheiten bedrohen können.» Juden seien in solchen Situationen immer in Gefahr, «als Sündenböcke missbraucht zu werden», sagte Graumann weiter.

Die von dem Juristen Oleg Tjagnibok geführte rechtspopulistische Partei Swoboda (Freiheit) ist in der ukrainischen Regierung vertreten. Die ultranationalistische Gruppe Rechter Sektor (Prawy Sektor) gilt als militanter Kern der Proteste gegen den entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Das Parlament der Krim hat jetzt die nationalistische Partei „Swoboda“ und „Rechten Sektor“ verboten.

Die weissrussische Schriftstellerin und Preisträgerin des Friedenspreis des deutschen Buchhandels Swetlana Alexijewitsch schreibt: „Das Fernsehen und die Zeitungen begannen gehorsam einen Informationskrieg gegen die neuen Machthaber in Kiew. Ein Nazi-Umsturz habe stattgefunden, in Kiew seien Faschisten an der Macht, an der Grenze der Westukraine würden sich Hunderttausende Flüchtline sammeln, überall würden Juden verfolgt und orthodoxe Kirchen zerstört. Russischsprechende seien Menschen zweiter Klasse. Das hören Russlands Fernsehzuschauer den ganzen Tag. Die Gehirnwäsche ist total.“ Die russischen Soldaten auf der Halbinsel seien Beschützer und Befreier und keine Besatzer, ist die offizielle Verlautbarung in den russischen Medien. Der Spruch, „die Notwendigkeit, Russisch sprechende Menschen in einem Nachbarland zu beschützen“, weckt bei manchen Leuten heute noch eine unheimliche Vertrautheit. Denn dieser ist eine genaue Kopie vom Hitlers Spruch, als er 1938 den Anspruch erhob, „die Sudeten-Deutschen vor den tschechischen Ungeheuern zu beschützen“.

In Israel fällt es heute einigen alten jüdischen Immigranten sich zu entscheiden, wen sie mehr hassen, die Ukrainer oder die Russen, ganz zu schweigen von den Polen. Fakt ist, dass viele frühe zionistische Führer tatsächlich aus der Ukraine kamen. So glauben auch einige jüdische Schriftsteller wie Schlomo Sand und Arthur Koestler, dass sich das Chasarische Reich, das die Krim und benachbarte Territorien vor tausend Jahren beherrschte, zum Judentum bekehrte.

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Das Chasarische Reich

Das Chasarische Reich erstreckte sich im 9. Jahrhundert über die gesamte südrussische Steppe zwischen Wolga und Dnepr bis an den Kaukasus. So umfasste es die heutigen Gebiete von Georgien und Armenien. Die Nordausdehnung erstreckte sich bisnordöstlich des späteren Moskau am Oberlauf der Wolga. Das Reich war auf dem Höhepunkt seiner Macht mindestens dreimal grösser als Frankenreich in Mitteleuropas. Vor der Jahrtausendwende kontrollierten die Chasaren über Jahrhunderte lang den Handel mit Gewürzen, Textilien und Sklaven auf Teilen der Seidenstrasse und auf den Handelswegen zwischen Konstantinopel und dem Baltikum. An der Ostgrenze und teilweise innerhalb des tributpflichtigen Gebietes lebten Magyaren. Weitreichende Handelsbeziehungen unterhielten sie zudem nach Westen bis ins Kalifat von Córdoba.

Der spanisch-jüdischen Philosophen Jehuda ha-Levi erläutert in seinem Buch Kusari, das etwa 400 Jahre nach der mutmasslichen Konversion entstand, die  moralischen und liturgischen Gründe für die Konversion. Manche schätzen diese Schriften eher als Moralerzählung ein. Geschichtlich fundamentiert ist, dass sich die chasarischen Herrscher als Beschützer der jüdischen Diaspora sahen und mit jüdischen Führungspersönlichkeiten im Ausland in stetiger Korrespondenz standen. In einem erhalten gebliebenen Briefwechsel zwischen dem chasarischen Herrscher Josef und dem spanisch-jüdischen Gelehrten Hasdai Ibn Schaprut wird diese verdeutlich. Um 920 habe der Herrscher Nachricht von der Zerstörung einer Synagoge in Babung im Iran erhalten, berichtet der bekannteste Schreiber dieser Zeit, Ibn Fadlan. Daraufhin gab er den Befehl, das Minarett der Moschee in seiner Hauptstadt abzureissen und ihren Muezzin hinzurichten. Weiterhin erklärte er, dass er alle Moscheen in seinem Land zerstört hätte, hätte er nicht befürchtet, dass die Muslime aus Rache alle Synagogen in ihren Ländern zerstören würden.

Im 10. Jahrhundert zerschlug eine Allianz aus Byzanz und Rus zur Zerschlagung des Reiches sowie die Vertreibung. In Mitteleuropa folgte dann während des ersten Kreuzzuges die gezielte Verfolgung des Stadtjudentums durch marodierende Kreuzfahrertruppen. Vor allem während den Pogromen gegen die jüdischen Gemeinden der Schum-Städte von 1349 im französischen und deutschen Sprachraum konnte einige Überlebende fliehen. Diese Flucht führte sie  vor in das damalige Reich Polen-Litauen. Hier waren die Aschkenasischen Juden willkommen und wirkten beim Aufbau der Wirtschaft mit. In diesem Umfeld entwickelte sich Jiddisch, eine auf dem Mittelhochdeutschen aufbauende Sprache mit hebräischen, aramäischen und slawischen Elementen.

Da die meisten aschkenasischen Juden von dort stammen, würde uns das alle auch zu Ukrainern machen. Als die Ukraine zum ausgedehnten polnischen Reich gehörte, eigneten sich viele polnische Adlige grosse Besitzungen an. Sie beschäftigten Juden als Verwalter. Daher betrachteten die ukrainischen Bauern die Juden als Vertreter ihrer Unterdrücker und der Antisemitismus drang in die Nationalkultur der Ukraine ein.

In der Schule haben wir gelernt, dass bei jeder Wende der ukrainischen Geschichte Juden abgeschlachtet wurden. Die Namen der meisten ukrainischen Volkshelden, Führer und Rebellen, die in ihrem Heimatland verehrt werden, sind im jüdischen Bewusstsein mit furchtbaren Pogromen verbunden.

Der Kosaken-Hetman (Führer) Bohdan Chmelnyzkyj, der die Ukraine vom polnischen Joch befreite und der von den Ukrainern als Vater ihrer Nation betrachtet wird, war einer der schlimmsten Massenmörder in der jüdischen Geschichte. Symon Petljura, der nach dem Ersten Weltkrieg die Ukrainer gegen die Bolschewiken führte, wurde von einem jüdischen Rächer in Paris getötet.

Die „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) erklärte bereits Ende der 30er Jahre in einem Beschluss ihres 2. Kongresses „Die Juden in der UdSSR sind die treueste Stütze des herrschenden bolschewistischen Regimes und die Avantgarde des Moskauer Imperialismus in der Ukraine.“ Allein in der Westukraine wurden etwa 28 000 Juden von den ukrainischen Nationalisten umgebracht wurden. Ukrainische Polizeieinheiten waren auch an dem Massenmord an den ukrainischen Juden in der Schlucht von Babi Jar und in Lviv (Lemberg) beteiligt.

Im Streit mit der neuen Regierung in Kiew hat die autonome Halbinsel Krim die nationalistische Partei „Swoboda“ (Nachfolger der OUN) aber auch die rechtsextreme Organisation „Rechter Sektor“ verboten. „Swoboda“ ist im ukrainischen Parlament vertreten und Teil der neuen Regierungskoalition.

Für das Verbot der beiden Organisationen, deren Aktivisten an den blutigen Zusammenstössen in Kiew teilgenommen hatten, stimmte der Oberste Rat der Krim am Dienstag. Zur Begründung hiess es, dass diese Organisationen, die für ihre anti-russisch Rhetorik bekannt sind, für die Bevölkerung der russisch geprägten Krim eine Lebensgefahr darstellen würden. „Die Behörden der Autonomen Republik treffen alle möglichen Massnahmen, um ein Gelangen der Extremisten auf die Krim zu verhindern“, so das Parlament der Schwarzmeer-Halbinsel.

(JNS, Chaim Stolz)



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1 Antwort

  1. Ein sehr guter und informativer Artikel. Dankeschön! Sehe ich genauso. Und es wird vom Westen leider aus wirtschaftlichen oder welchen Gründen auch immer, weitesgehend ausgeblendet oder bis vor kurzem auch nur als russische Propaganda hingestellt. Mir macht der Rechtsruck in ganz Europa schon lange Sorgen. Das ist absolut ungut! Ich habe den Artikel mal rebloggt. Falls das nicht recht ist, kurzer Hinweis genügt. Danke!
    Herzliche Grüße
    Ute

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  2. Hat dies auf regenbogenlichter rebloggt und kommentierte:
    Ein sehr interessanter Artikel zum Thema Rechte und Antisemitismus in der Ukraine. Auch über die Geschichte des Antisemitismus dort. Was von westlichen Politikern leider weitesgehend ausgeblendet oder unterschätzt wird.
    Wirtschaftliche Verhandlungen mit einer nicht demokratisch gewählten Übergangsregierung, in der auch „Swoboda“ vertreten ist, sind bereits im vollen Gange. Die möchte man wahrscheinlich nicht gefährden.
    Und allen nochmals wärmstens ans Herz gelegt, das Buch „Clara’s War“ bzw. die deutsche Ausgabe, „Eine Handbreit Hoffnung“ von Clara Kramer. Die Geschichte eines jüdischen Mädchens, dass die NS-Zeit in einem Kellerversteck überlebt hat. In der Nähe von Lviv (Lemberg)/Ukraine. Es zeigt deutlich auch den Antisemitismus von Ukrainern auf. Leider immer noch hochaktuell. Wir hoffen, es wird bald auch wieder in Buchform. aufgelegt.

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