„Meine Seele dürstet es nach Gott, nach dem lebendigen Gott!“ Und deshalb fragt unsere Seele sehnsüchtig: „Wann werde ich vor dem Antlitze Gottes erscheinen!?“ (Psalme Davids, Psalm 42, Vers 3)
Thora-Parascha
Sidra: Schlach Lecha
Lesungen: 4.Mose 13,1-15,41
Haftara: Josua 2,1-24
Im 4. Buch Moses (Kapitel 13, Satz 22) steht im Bezug auf die von Moses in Auftrag gegebene Aussendung der zwölf namentlich erwähnten Kundschafter, wörtlich aus dem Hebräischen übersetzt: „Sie zogen hinauf und kam bis Hebron…“ Die sinngemässe Übersetzung lautet: „Sie kamen hinauf und kamen bis Hebron“, da sie alle gemeinsam von der Negev-Wüste ins Heilige Land einmarschierten und sich so auf den geographischen Weg nach Oben und somit nach Hebron marschierten. Doch in der Thora steht ausdrücklich zunächst die Mehrzahlform: „Sie zogen hinauf“, und dann im selben Satz und deshalb auf den Anfang basierend und demzufolge aus grammatischer Sicht auch im Hebräischen völlig falsch, die Einzahlform: „…und kam bis Hebron…“
Auf diesen „ grammatikalischen Schreibfehler“ in der ja UNFEHLBAREN Thora machten uns selbstverständlich bereits unsere Weisen im Babylonischen Talmud (der Gemara, Traktat Sota) aufmerksam. Dort fragen sie exakt danach, was eben moniert wurde. Also wie es sein kann, dass am Anfang des Satzes „Sie zogen hinauf“ (also die Mehrzahl) und dann plötzlich „…und kam bis Hebron…“ (also die Einzahl) steht. Sie gaben selbstverständlich auch die Antwort auf diese von ihnen gestellte Frage. Mit dem Satzanfang „Sie zogen hinauf“, bezieht sich die Thora auf alle zwölf namentlich erwähnten und von Moses beauftragten Kundschafter, die das Heilige Land ausspähen sollten. Zehn von ihnen versagten dabei kläglich und erschreckten nach ihrer sogenannten Erkundung das Volk Israel mit dem Gerücht, das Heilige Land sei uneinnehmbar, weil es von unheimlichen Riesen bewohnt sei, usw. Kaleb, der Sohn Jephunnes, sah dieses Übel bei ihrem gemeinsamen Einmarsch kommen und entfernte sich aufgrund dessen von ihnen. Er begab sich alleine und auf dem schnellsten Wege nach Hebron, in die Höhle Machpela. (Höhle Machpela: hebräisch Me’arat Ha´Machpela, auch Höhle der Patriarchen oder Grab der Patriarchen genannt, da sich in ihr die Ruhestätten von Adam und Eva, sowie die der drei Erzväter, Abraham, Itzchak, Jakob und ihrer Frauen der Stammesmütter Israels Sara, Rebekka und Lea befinden). – Dort, also in der Höhle Machpela, angekommen bat Kaleb der Sohn Jephunnes seine Stammesväter- und Mütter sofort um ihre Hilfe, damit sie ihm zum einen helfen und zum anderen Gott bitten sollten, Seine Barmherzigkeit über ihn zu legen, damit er ja nicht auf den falschen und verlogenen Weg der anderen zehn Kundschafter gerät.
Kurz gesagt machte sich Kaleb der Sohn Jephunnes auf eigene Faust auf den Weg nach Hebron, um dort an den “Kiwrey Zaddikim“ (in dem Fall also in der Höhle Machpela) die Zaddikim um ihren helfenden Beistand und um guten Schutz für ihn bei Gott zu bitten! Demzufolge ist nun klar, weshalb die Thora plötzlich von der Mehrzahlform auf die Einzahlform umschlug. Mit dem weiterführenden Satzteil: „…und kam bis Hebron…“ bezog sich das 4. Buch Moses also nur auf ihn!!
Um diese Handlung zu verstehen führen wir nun auf, was Rabbi Nachman in seinem Buch Sefer Hamidot schreib: „Aufgrund des Besuches von Kiwrey Zaddikim (Ruhestätten von Zaddikim oder einem Zaddik) erweist Gott ihm (also der Person, die den Zaddik aufsucht) einen grossen Dienst, obwohl er dies gar nicht verdient hätte!“
Etliche unserer Weisen äusserten sich in Bezug auf den Besuch der Kiwrey Zaddikim ähnlich, indem sie beispielsweise sagten, ein Mensch gelangt dadurch zum vollendeten Glauben, also zum Glauben mit voller Überzeugung! Und dies führt wiederum zur Erlösung und zum Schutz von Problemen und Schwierigkeiten auf körperlicher, spiritueller und materieller Ebene.
Das Thora-Genie, der Gaon von Wilna (Rabbi Elijahu Karmer), schrieb in einem seiner Bücher, dass man in unserem Zeitalter – aufgrund der Zerstörung des Tempels in Jerusalem – die damals dort befindliche Heiligkeit und Spiritualität an den Kiwrey Zaddikim finden und spüren kann!
Nach all diesen Ausführungen müssen wir allerdings nun eine Sache deutlich hervorheben. Nachdem die zehn Kundschafter – nach ihrer sogenannten Erkundung – das Volk Israel mit dem Gerücht, das Heilige Land sei uneinnehmbar, weil es von unheimlichen Riesen bewohnt sei usw. erschreckt hatten, begann das gesamte Volk daraufhin zu weinen. Völlig grundlos! Da Ihnen durch den Auszug aus Ägypten bisweilen ein Wunder grösser als das andere widerfuhr. Unsere Weisen lehrten uns, dass der Grund ihrer unberechtigten Tränen die Undankbarkeit war. Dies macht allerdings immer noch nicht wirklich verständlich, weshalb Gott als Antwort auf die Undankbarkeit die wohl mit Abstand schwerwiegendste Strafe verhängte! Gott sagte nämlich: Ihr weint völlig grundlos – daher werde Ich euch nun über alle Generationen hindurch einen Grund zum Weinen geben!
Wenn man die 5 Bücher Moses genau durchliest, stellt man fest, dass Gott bei keiner Sache so hart und streng reagierte.
Nur weil die Generation des Auszugs von Ägypten völlig grundlos weinte, erlebten wir über alle späteren Jahre hindurch unbeschreibliche Verfolgungen, Ermordungen und Qualen! So z.B. die Zerstörungen der zwei Tempel, Ermordungen, Kriege, Terror. Überall wo man hinblickt hört man von Scheidungen. Unheilbare Krankheiten verbreiten sich innerhalb der Menschheit wie im Nu. Drogenprobleme! Auch die Börse erlebte vor kurzen einen Crash. Kurz gesagt, es brennt an allen Ecken und Enden! Überall gibt es Leid und Elend. Überall wird gejammert und geweint.
Und all das nur, weil sich das Volk beim Auszug aus Ägypten als undankbar erwies!?
Im Nachhinein stellt sich die Frage, ob Gottes Strafmass hier nicht etwas übertrieben ist. Zugegeben, das gesamte Volk weinte und jammerte ständig völlig grundlos, aber deswegen gleich eine Strafe verhängen, die über Jahrhunderte Leid und Elend auf die Menschheit legt!?
Die Antwort auf diese Frage ist, Gott hat keinen von uns bestraft! Er sagte lediglich: Du weinst? In Ordnung! Weine ruhig, doch solange du weinst, werde ich dir einen Grund zum Weinen geben!
Das heisst aber auch für alle anderen, die mit ihrer Jammerei aufhören und beginnen sich ausschliesslich auf das Gute in ihrem Leben zu konzentrieren, dass Gott sie mit Glück überhäuft!
Gott ist barmherzig! Er bestraft keinen von uns! Er ist keineswegs daran interessiert, dass jemand weint oder leidet. Im Gegenteil! Er will stets nur, dass wir vor Freude lachen und glücklich sind!
Das Gesagte entnehmen wir eindeutig aus dem Buch Likutey Halachot von Rabbi Nathan aus Breslev. Dort heisst es nämlich:
„Wenn ein Mensch glaubt, dass alles was ihm in seinem Leben widerfährt zu seinem Guten ist und er sich deshalb auch für etwas zunächst schrecklich Erscheinendes bei Gott bedankt, für den verschwinden alle Probleme und Schwierigkeiten wie niemals dagewesen!“
Gott hat also kein Interesse daran einen Menschen zu bestrafen! Doch unsere Weisen sagten:
„Auf den Weg, auf dem ein Mensch gehen will, wird er geführt!“
Wenn ein Mensch sich also entscheidet traurig oder verzweifelt zu sein, dann sagt Gott:
„Kein Problem – wenn das der Weg ist, auf den du schreiten möchtest, dann nur zu! Aber weshalb solltest du völlig grundlos traurig oder verzweifelt deinen Alltag verbringen. Ich werde dir helfen, indem Ich dir deinen Wunsch traurig zu sein erfüllen werde …“
Mit anderen Worten, sobald ein Mensch versteht, dass er gegenüber Gott und seiner Umwelt sich dankbar verhalten und erweisen muss, dann erlebt er sofort eine gewünschte Erlösung! Alle seiner Wünsche sind in greifbarer Nähe und werden in Erfüllung gehen! (Rabbi Schalom Arusch)
Sidra Schelach lecha
Das Heuschrecken-Syndrom
Menschen, Kinder und Erwachsene lieben Erzählungen, Legenden, Märchen, stories. Atemlos hängen wir an den Lippen des Storytellers. Erzählungen wollen uns unterhalten, übermitteln, unterrichten und manchmal sogar irreführen. Geschichten formen einen wichtigen Teil unserer Kultur, unseres Lebens. Stellen Sie sich einmal ein Leben ohne Geschichten vor.
Die Geschichte der Kundschafter,die wir diese Woche in der Sidra Schelach Lecha lesen, gibt zu Denken. Mosche schickt zwölf Kundschafter aus, je ein Vertreter eines Stammes, in das einzunehmende Land Jisrael. Als Spähpatrouille sollen sie das Land inspizieren: Fliesst es tatsächlich über von Milch und Honig, sind die Städte ummauert oder nicht, ist die Bevölkerung feindselig oder freundlich? Zehn der zwölf Kundschafter kommen mit Schaudergeschichten zurück: „Das Land, durch das wir gezogen sind, um es zu erkunden, ist ein Land, das seine Bewohner frisst, und alle Leute, die wir darin gesehen haben, sind hochgewachsene Männer. Und wir haben dort die Riesen gesehen – die Anakiter stammen von den Riesen ab – und wir kamen uns vor wie Heuschrecken, und so erschienen wir auch ihnen“[1]. Nicht nur, dass die Kundschafter ‚Anakiter [2]‘ gesehen haben, sie wussten auch genau, von wem sie abstammen, nämlich von den ‚Nephilim‘. Wer waren diese Riesen? In Bereschit (6,4) lesen wir, dass es zur Zeit von Noach ‚Nephilim‘ gab. Die drauf los phantasierenden Kundschafter, die offenbar Kenntnis davon hatten, riefen bei den aus Ägypten geflüchteten Kinder Jisraels eine Urangst vor diesen Riesen auf. Um das Schreckgespenst möglichst imposant darzustellen, malten sie ihre eigene Angst gross aus: “wir kamen uns vor wie Heuschrecken“. Was sollen diese Geschichten der Kundschafter? Das Volk zur Rebellion aufstacheln und Mosche davon abzuhalten weiter zu ziehen? Den zehn Kundschaftern sowie einem Teil des Volkes wurde das harte Bestehen in der Wüste zu viel, sie wollten nach Ägypten, zu ihrem verantwortungslosen Sklavenleben zurückkehren. Vielleicht wollten die Kundschafter Mosche und sein Volk irreführen, vielleicht auch war ihre eigene Angst der Nährboden ihrer Horrorgeschichten. Wir wissen es nicht.
Über die Selbstdefinierung der zehn Kundschafter meint der Kotzker Rebbe [3], es sei in Prinzip eine gute Sache, sich selber als Heuschrecke zu empfinden. Es zeige, dass man wachsam ist. Nicht gut sei es aber, sich selbst durch die vermeintlich missbilligenden Augen des Andern zu definieren. Der das tut, so der Kotzker Rebbe, positioniert sich per Definitionem unter dem Andern, kreiert also selber eine ungleichwertige Beziehung. Leider geschieht es in unseren liberalen Kreisen zu oft, dass man sich gegenüber der Orthodoxie als ‚Heuschrecke‘ empfindet. Noch schlimmer finde ich es, wenn wir orthodoxen Leuten die Macht des Riesen geben, uns als Heuschrecken zu sehen. Solange wir das tun, sind und bleiben wir tatsächlich die Heuschrecken des Judentums. Die Geschichte der Kundschafter über Riesen und Heuschrecken nährte die Angst der Kinder Jisrael und hielt sie in ihrem underdog Selbstbild gefangen. Ich rebelliere dagegen.
Schabat Schalom,
Rabbiner Reuven Bar Ephraim, JLG Zürich
[1] Bemidbar [4BM] 14, 32-33.
[2] Anak, Hebräisch für Riese, aber auch ‚Nephilim‘.
[3] Menachem Mendel Morgenstern von Kotzk (1787–1859).
Paraschat Haschawua: schelach.lecha.1.j.pdf; schelach.lecha.haftara.pdf
Kategorien:Gesellschaft
Europa ist antisemitisch. Eine Studie belegt es. Wieder einmal.
Thorazitat – Parascha
Thorazitat – Parascha
Elfte Lange Nacht der Religionen in Berlin
Hinterlasse einen Kommentar