Unsere Weisen lehrten uns, dass Gott „die Lebenden in Liebe versorgt“, in Liebe und nicht etwa aufgrund guten Verhaltens oder guten Charakterzüge …
Thora-Parascha
Sidra: „Schoftim – Richter“
Lesungen: 5. Mose 16,18 – 21,9
Haftara: Jesaja 51,12 -52,12
Schoftim – Psalm 17
Gerechtigkeit
Sowohl im Wochenabschnitt Schoftim als auch im zugeordneten Psalm 17 steht das hebräische Wort „Zedek“ mehrfach. Der Begriff Zedek weist mehr als eine Bedeutung auf. In den meisten Verdeutschungen der Bibel steht: „Gerechtigkeit, aber einige Übersetzer haben sich manchmal für ein anderes Wort entschieden.“
Schon im ersten Vers von Schoftim kommt Zedek vor: „Richter und Beamte sollst du dir setzen in all deinen Toren, die der Ewige, dein Gott, dir gibt, nach deinen Stämmen, und sie sollen das Volk richten, ein gerechtes Gericht“ (Dewarim 16, 18). Rabbiner Hertz erklärt, was ein gerechtes Gericht (Mischpat Zedek) ausmacht: „Die Richter müssen sowohl zu diesem Amt befugt als auch unparteiisch sein und dürfen ihre Stellung nicht gesellschaftlichen- oder Familienrücksichten verdanken.“
Der dritte Vers von Schoftim lautet: „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit erstrebe, damit du lebest und das Land in Besitz nehmest, welches der Ewige, dein Gott, dir gibt“ (Dewarim 16, 20). Die Verdoppelung des Wortes Zedek haben die Weisen unterschiedlich interpretiert (siehe „Tora Temima“ zu diesem Vers).
Den Anfang von Psalm 17 übersetzt M. Mendelssohn: „Gebet Davids. Erhöre Ewiger! Die Gerechtigkeit! Merk auf mein Schreien! Vernimm mein Gebet aus Lippen ohne Falsch!“ Nach A. Chacham erklärt der Psalmist, er habe keine Sünden begangen, die eine Erhörung seines Gebets verhindern. Der Psalm endet: „Ich, durch Gerechtigkeit will ich dein Antlitz schauen / will beim Erwachen schwelgen deines Anblicks“ (Vers 15). Die Interpreten sind sich nicht einig, ob dieser Vers sich auf diese unsere Welt oder auf die Auferstehung der Toten bezieht. Klar ist, dass der Psalmist von einem Lohn für das Streben nach Gerechtigkeit spricht.
Von Zedek ist „Zedaka“ (z. B. Bereschit 18, 19) abgeleitet. Mit Recht hat Rabbiner J. Sacks bemerkt: „Zedaka lässt sich nur sehr schwierig übersetzen, weil es in einem Wort zwei normalerweise gegensätzliche Begriffe miteinander verbindet, nämlich Nächstenliebe und Gerechtigkeit.“ (Von:Prof. Dr. Yizhak Ahren )
Sidra schoftim
Uraltes Liberales Judentum
Als Mosche den Berg Sinai bestieg [um die Tora zu empfangen] fand er Gott damit beschäftigt, die Buchstaben mit Kronen zu verzieren. Mosche: „Herr der Welt, warum gibst Du mir die Tora nicht schmucklos?“ Gott: „Es wird einen Mann geben, sein Name ist Akiwa Ben Josef, der auf jede Krone Berge von Auslegung der Halacha legen wird.“ Mosche: „Herr der Welt, bitte zeige ihn mir.“ Gott: „Dreh Dich um.“ Mosche befand sich in Rabbi Akiwas Klassenzimmer, auf der hintersten Bank, dort wo die Anfänger sassen. Er verstand nichts von dem worüber sie redeten und fühlte sich verloren. Mitten in einer Auslegung Akiwas, fragte ein Schüler: „Rabbi, woher wissen Sie das?“ Akiwa: „Dieses Gesetz wurde an Mosche am Sinai gegeben.“(Babylonischer Talmud Menachot 29b.)
Diese Legende zeigt uns, dass die talmudischen Rabbinen ausser Humor, eine gesunde Dosis Realitätssinn besassen. Sie überfordern den armen Mosche komplett, indem sie ihn zweitausend Jahre vorwärts in das Lehrhaus Rabbi Akiwas versetzen. Doch genau damit zeigen sie, dass jede Generation die Tora gegenwartsbezogen interpretieren muss. In der dieswöchigen Sidra ‚Schoftim‘ lesen wir genau diese Richtlinie, die die Rabbinen im Talmud festhalten und bestätigen wollten: „Wenn ein Rechtsstreit … dir zu schwierig ist … du sollst zu den levitischen Priestern und zu dem Richter gehen, die zu jener Zeit dort sein werden … du sollst dich an den Spruch halten, den sie dir verkünden werden … du sollst von dem Spruch, den sie dir verkünden, nicht abweichen, weder nach rechts noch nach links.“ (Dewarim [5.BM] 17, 8-11.) Situationen müssen demnach also mit zeitgemässen Einsichten interpretiert, bewertet und gelöst werden.
Dass es eindeutige Antworten geben wird, ist nicht zu erwarten. Die Sicherheit: ‚Zwei Juden gleich drei Meinungen‘ ist von allen Zeiten. Die Rabbinen versuchten die vielfachen Interpretationen einzudämmen, indem sie verordneten, dass man auf jeden Fall der Meinung der gegenwärtigen massgebenden Autorität zu gehorchen hat, sogar wenn diese ‚rechts‘ für ‚links‘ oder umgekehrt erklärt und sogar wenn sie sich irrt (Sifre Dewarim 154; Raschi zu Dewarim 17, 11.) Dem gegenüber nehmen die talmudischen Rabbinen auch Stellung zum Problem, das entsteht, wenn zwei massgebende Autoritäten über die gleiche Frage unterschiedliche Antworten geben. Der talmudische Rat für eine Person, die sich in dieser Zwickmühle befindet: „Aktiviere deine Vernunft und handle erst, nachdem du alle Seiten gehört hast.“(Babylonischer Talmud Chagiga 3b.) An einer anderen Stelle lesen wir, wie der die talmudische Zeit prägende Disput zwischen den Häusern Hilel und Schamai (Bet Hilel und Bet Schamai) letztendlich beigelegt wurde: „diese und diese sind die Worte des lebenden Gottes.“ (Babylonische Talmud Eruwin 13b.) Beide Lehrhäuser haben somit die Kompetenz das Wort Gottes zu interpretieren und weiterzugeben.
Schon in Tora und Talmud finden wir die Basis für den pluriformen Charakter der Halacha und die Aufforderung, Interpretationen dem Zeitgeist anzugleichen. Es sind keine liberal-jüdischen Erfindungen. Lassen wir nicht vergessen, dass im Gegenteil, das Fixieren der Halacha, eine Neuerfindung des 19. Jahrhunderts ist. Ich möchte das Problem aber keineswegs bagatellisieren. Ich weiss, eine zu rigide Fixation führt zu Starrheit und Intoleranz, eine durchgeschlagene Flexibilität jedoch, zu Abbruch und Verlust.
Schabat Schalom,
Rabbiner Reuven Bar Ephraim, JLG Zürich
Paraschat Haschawua: schoftim.1.j.pdf, schoftim.haftara.pdf
Kategorien:Gesellschaft
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Thorazitat – Parascha
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