Was für ein Verlust


graveOz Mendelovich war 21 Jahre jung, als ihn eine Kugel direkt am Hals erwischte. Mutter Osnat hatte es unbewusst geahnt, seltsame Halsschmerzen plagten sie an diesem Tag. Die Frau Anfang vierzig wirkt gefasst. Oz, ein hübscher Junge mit sportlicher Figur und dunklem Haar, ist überall im Wohnzimmer des Hauses in Atzmon Segev im Norden Israels präsent. Porträts von Oz in Uniformhängen an den Wänden. Nur noch sechs Monate Wehrdienst lagen vor ihm, als er am 20. Juli starb.

Am schwersten fällt es Osnat, von ihrem Sohn in der Vergangenheit zu sprechen, „er war“ zu sagen. Oz – das hebräische Wort für Stärke – war ihre Stütze, als sie sich vor Jahren von ihrem Mann trennte. Den Einsatz in Gaza stellt die Familie dennoch nicht in Frage. „Es ist ein gerechter Krieg“, sagt Osnat. Sie hat allerdings ein Problem mit dessen Ausgang: „Wir haben ihn nicht beendet.“ Die Menschen im Süden Israels seien immer noch nicht sicher vor Raketenangriffen. Und sie habe ihren Sohn dafür geben!

Die 16-jährige Schwester Chen will einmal, wie ihr Bruder und zuvor schon Vater Eli, zur Golani-Eliteeinheit gehören. Der Tod des grossen Bruders hat sie nicht abgeschreckt. Jetzt erst recht. Die Boylands leben in einem Kibbuz am See Genezareth. Adva (57) stammt aus Israel. Ihren Mann Glen (59) hat sie in Neuseeland kennengelernt. 1999 entschlossen sich die Boylands zur Alijah.

Heute verkauft Adva im Souvenirshop des Kibbuz Andenken, Glen erledigt im Kibbuz-Hotel die Reparaturen. Guy und seine Schwester Kim hätten dem israelischen Militärdienst entkommen können, sie haben auch die neuseeländische Staatsangehörigkeit. Aber sie fühlten sich als Israelis. Mit ein wenig Mühe hätte Guy wohl auch einen sicheren Bürojob bekommen können, aber das war nicht das, was er wollte. „Guy wollte ein Kämpfer sein“, sagt sein Vater. Ausgerechnet der Junge, der sonst nur Blödsinn im Kopf hatte. Nach seinem Todhätten sie lange nach einemseriösen Foto des 21-Jährigen gesucht. Auf allen schnitt er Grimassen. Adva holt ein Fotoalbum hervor. Auf den Bildern trägt Guy seine rotblonden Haare hüftlang, passend zur Musik, die er liebte: Heavy Metal. Zuhause sei er eher ruhig gewesen, aber bei seinen Freunden war er sehr beliebt. „Wir haben eine Menge über ihn erfahren nach seinem Tod.“ Guy, der bei den Pionieren war, war im Gaza-Krieg für die Zerstörung der Tunnel zuständig. Er starb beim Durchsuchen eines scheinbar verlassenen Hauses. „Es war sehr blutig“, erzählt Guys Mutter. Acht Kugeln steckten allein in seiner Schutzweste. Wie wird man als Eltern mit einem solchen Verlust fertig? „Gar nicht“, sagt Adva. „Es ist solch eine Verschwendung“, sagt Glen mit Tränen in den Augen.

Was den beiden hilft, ist die riesige Anteilnahme. Armee und Kibbuz finanzierten die Flüge der Verwandtschaft aus dem Ausland. 5000 Menschen kamen zu Guys Beerdigung auf den Kibbuz-eigenen Friedhof. Vor allem aber tun die Besuche von Guys Freunden dem Ehepaar gut.

Heute ist der 23-jährige Adi gekommen, der einmal Guys Vorgesetzter war. In Uniform und mit dem Gewehr um den Hals sitzt der junge Offizier bei den Boylands auf dem Sofa. Der Tod des immer lustigen Kameraden habe ihn geschockt, erzählt er. Aber er habe die Trauer nicht so richtig an sich herankommen lassen dürfen im Krieg. Ob er es jetzt darf, bleibt unklar.

Der Krieg sei nicht vorbei, sagt Adi. Es könne jederzeit wieder losgehen. (Von Angelika WOHLFROM)



Kategorien:Gesellschaft

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