Der mysteriöse Mossad – Jerusalems Teil-Eingeständnis


In den letzten Tagen sind die israelischen Medien mit einer mysteriösen Spionageaffäre beschäftigt. Laut ausländischen Angaben hat sich ein Mossad-Agent mit australischer Staatsangehörigkeit im Jahr 2010 im israelischen Hochsicherheitsgefängnis das Leben genommen. Nach einem Bericht des australischen Senders ABC handelte es sich um den australischen Juden Ben Zygier, der vor mehr als zehn Jahren nach Israel ausgewandert war. Der studierte Rechtsanwalt habe seinen Namen zu Ben Alon geändert und arbeitete für Israels Geheimdienst. Die meisten Einzelheiten der Affäre sind jedoch weiter unklar. Der unter höchster Geheimhaltung inhaftierte Mann war mit einer Israelin verheiratet und hatte zwei Kinder.

Der so genannte „Gefangene X“ wurde im Gefängnis Ayalon in völliger Isolation gehalten und selbst die israelischen Gefängniswächter kannten seine Identität nicht. Israel hat diese Identifikation nicht bestätigt.Gemäss ABC wurde nie eine Anklage erhoben. Vor zwei Jahren wurde der damals 34-jährige Zygier erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Sieben Tage später wurde seine Leiche nach Australien ausgeflogen und auf einem jüdischen Friedhof begraben. Weder seine Eltern und Geschwister noch die Familie seiner israelischen Frau sind bereit, darüber zu sprechen.

Regierungschef Binyamin Netanyahu hat am Dienstag die noch von Staatsgründer David Ben-Gurion ins Leben gerufene so genannte Chefredaktoren-Kommission zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen. Er wollte offenbar mit dieser informellen Gruppierung, bestehend aus den Chefredaktoren und Besitzern der wichtigsten Medien des Landes, zur Einigung bezüglich der journalistischen Behandlung eines Falles gelangen, in dessen Zentrum der offensichtliche Selbstmord im Jahre 2010 eines unter einem Pseudonym im Hochsicherheitstrakt des Ayalon-Gefängnisses von Ramle festgehaltenen australischen Bürgers jüdischer Abstammung gestanden haben soll. Bis gestern früh war den israelischen Medien die Berichterstattung verboten, obwohl infolge einer ausführlichen ABC Reportage in Australien überall im Netz darüber zu lesen war. Laut ausländischen Berichten soll sich der bei seinem Tod 34-jährige Mann, angeblich ein Agent des Mossad-Geheimdienstes, der in einen Loyalitätskonflikt seiner Heimat gegenüber geraten sein soll. Während der Dringlichkeitssitzung ersuchte das Büro des Premierministers die Anwesenden angeblich, von der Veröffentlichung von Details zum Fall abzusehen, der sehr peinlich werden könnte für eine bestimmte staatliche Agentur (Mossad?), und der, einmal von der Öffentlichkeit breitgetreten, auch das Verhältnis zwischen Israel und Australien trüben könnte. Zahava Gal-On, Vorsitzende der links-liberalen Meretz-Partei, kritisierte die Kooperation der Medien mit der Kommission: „Das Phänomen von Journalisten, die sich auf Wunsch der Behörden der freiwilligen Selbstzensur unterziehen, ist äusserst undemokratisch. Ich hatte gehofft, die Erscheinung sei (in Israel) bereits vor Jahrzehnten aus der Welt geschafft worden“. Offenbar ist dem aber nicht so.

In der Angelegenheit des Mannes,  hat das israelische Rechtswesen (wahrscheinlich wegen des wachsenden internationalen Drucks) am Mittwochabend ein partielles Eingeständnis gemacht und zugegeben, dass ein israelischer Mann, der auch eine andere Nationalität besass, „Aus Sicherheitsgründen“ unter falscher Identität verhaftet worden sei und schliesslich Selbstmord begangen hatte. Die Information konnte veröffentlicht werden, nachdem das zuständige Gericht ein generelles, 2010 für 90 Tage verhängtes und immer wieder verlängertes Publikationsverbot teilweise aufgehoben worden ist. Die Familie des Mannes – sie lebt in Australien – sei unverzüglich nach dessen Verhaftung informiert worden. Das Vorgehen im Falle des Häftlings sei von den höchsten Offiziellen im Justizministerium beaufsichtigt worden, und die Rechte des Mannes seien in Übereinstimmung mit dem Gesetz geschützt gewesen, liest man im Gerichtsbeschluss, der die Publikation untersagt hatte. Weitere Details, die im Ausland bereits veröffentlicht worden sind, oder in den nächsten Tagen noch veröffentlicht werden, unterliegen in Israel immer noch der Militärzensur. So berichtete die australische Zeitung „The Age“, dass Zygier Monate vor seiner Verhaftung in Israel vom australischen Geheimdienst im Zusammenhang mit eines möglichen gesetzeswidrigen Missbrauchs seines australischen Reisepasses „zu Spionagezwecken“ befragt worden sei. Eine Woche nach seinem am 15. Dezember erfolgten Selbstmord sei Zygier, der bei seinem Tod 34 Jahre alt war, in Melbourne begraben worden. Er galt vor seiner Einwanderung nach Israel, wo er Militärdienst leistete, als aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde von Melbourne. Ein Sprecher des australischen Aussenministers Bob Carr (ein grosser Israelfreund) gestand am Mittwoch ein, dass die israelischen Behörden seinerzeit einen Diplomaten an der australischen Botschaft in Tel Aviv über Zygiers Verhaftung informiert, der Diplomat die Information aber nie nach Canberra weitergeleitet habe.

Viele Details der mysteriösen Affäre unterliegen aber immer noch der israelischen Militärzensur. Dies allein erweckte die Neugier aller Zeitungen und schliesslich genehmigte das israelische Gericht am Mittwoch, gemäss ausländischen Quellen zu berichten. Im israelischen Parlament nutzten Knessetabgeordnete wie Zahava Galon, Achmed Tibi, Dov Hanin und Nitzan Horowitz ihre Immunität aus und forderten trotz Verbot eine öffentliche Diskussion. Sie versuchten, vom israelischen Justizminister Jaakov Neemann zu erfahren, ob die australischen Meldungen der Wahrheit entsprechen und wie es dazu kommt, dass jemand in Israel ohne Anklage und Identität in der sichersten Gefängniszelle Nr. 15 sitzt und Selbstmord begeht. Diese Zelle mit Videoüberwachung wurde übrigens für den Mörder von Jitzchak Rabin, Igal Amir, angefertigt, um einen Selbstmord zu verhindern. Als junger Rechtsanwalt hatte Ben Zygier im Rechtsanwaltbüro von Jaakov Neemann in Tel Aviv ein Praktikum absolviert.

Der bekannte israelische Rechtsanwalt Avigdor Feldmann gab den Medien heute bekannt, er habe einen Tag vor dessen Tod mit Ben Zygier in seiner Zelle gesprochen. Laut Feldmann war dieser zurechnungsfähig und zeigte keine Anzeichen, aufgeben zu wollen. Feldman sagte dem israelischen TV-Sender Channel 10, er habe Zygier einen Tag vor seinem angeblichen Selbstmord getroffen. Dieser habe alle Anschuldigungen abgestritten und erwogen, seinen Strafprozess mit einem Deal mit der Staatsanwaltschaft zu beenden. „Ich sah keine Anzeichen, dass er sich umbringen wollte“, so Feldmann. Zu den Anschuldigungen gegen Zygier nannte der Anwalt keine Details. Er sagte lediglich, sie seien „ernst“ gewesen. Gegenüber Haaretz erklärte Feldmann: „Zygier hat mir gesagt, dass er unschuldig sei“. Am nächsten Tag wurde Ben Zygier in seiner Zelle tot aufgefunden. Pathologische Untersuchungen ergaben, dass er sich erhängt hatte.

GrabZigyer

Während seines Dienstes als Mossad-Agent scheint etwas schiefgelaufen zu sein. Es wird spekuliert, dass Ben Zygier den Staat Israel verraten hat, ein Doppelagent war oder etwas wusste, das auf keinen Fall ans Licht kommen durfte. Ein hochrangiger Sicherheitsbeamter übermittelte amerikanischen Zeitungen, dass Ben Zygier wegen nationaler Sicherheit Israels, Alarmstufe A, verhaftet wurde. Schon mehrmals wurden in Israel politische Gefangene ihrer Identität beraubt und über Jahre von der Öffentlichkeit versteckt. Laut ausländischen Quellen war er mit seinem australischen Pass im Iran, Syrien und im Libanon. Zu diesem Punkt muss erwähnt werden, dass die im Ausland lebenden Juden für den israelischen Geheimdienst eine klassische Zielgruppe sind, um Juden mit ausländischer Nationalität für den Mossad zu mobilisieren. Aber damit gefährdet Israel die jüdischen Gemeinden in fremden Ländern. Dies macht sofort alle Juden verdächtig, dem Staat Israel loyal zu sein und nicht dem Land, in dem sie leben. Dies war schon einmal 1985 der Fall, als der FBI den amerikanischen Nachrichtenoffizier und Juden Jonathan Pollard wegen Spionage für Israel verhaftete.

Der Fall um Ben Zygier führt nun erneut vor Augen, dass auch israelische Staatsangehörige nicht vor den Methoden des Mossad gefeit sind. Begehen sie „Landesverrat“, wie es Israel mit seinen bisher spärlichen Angaben kommunizierte, kann es sein, dass ihnen – wie bei Zygier – die Identität geraubt wird. Als Folge droht ein Leben im Untergrund eines israelischen Sicherheitsgefängnisses. Teilweise wissen nicht einmal engste Familienmitglieder, was mit ihren Angehörigen passiert ist.

Ein Fall, der weltweit für Aufsehen sorgte, betraf Marcus Klingberg, einen israelischen Biologen, der Militärgeheimnisse an die russische Regierung weiterleitete. Seine Kontakte zum russischen Geheimdienst KGB reichten bis in die 1950er-Jahre zurück. In den 1960er-Jahren schöpfte der Mossad erstmals Verdacht über seine Spionagetätigkeiten. Klingberg agierte jedoch derart geschickt, dass er es letztlich zum ranghöchsten KGB-Spion brachte, der jemals in Israel enttarnt wurde.

Zuvor überstand der ehemalige Oxford-Professor gar einen Lügendetektortest und lieferte dem KGB regelmässig hochsensible Daten über die biologischen Waffen Israels. Die Festnahme gelang dem Mossad erst im Jahr 1983. Unter dem Vorwand, einen Chemieunfall untersuchen zu müssen, lockten ihn Agenten des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet nach Singapur. Dort wurde er in einem abgelegenen Appartement einem Verhör unterzogen. Nach zehn Tagen gestand Klingberg. Im Anschluss wurde er zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Nur seine Frau und Tochter wussten, wo sich Klingberg aufhielt. „Er hält sich beruflich im Ausland auf“, hiess es für alle anderen. Die ersten zehn Jahre verbrachte er unter falschem Namen und einer erfundenen Identität in Einzelhaft. Dies liess er zu, weil er sich davon eine Hafterleichterung versprach. Ein Gefangenenaustausch mit Russland im Jahr 1989 sollte scheitern. Auch die Bemühungen von Amnesty International führten nicht zu seiner Freilassung. Nach 20 Jahren Haft wurde er schliesslich entlassen. Im Pariser Exil veröffentlichte er unter dem Namen „The Last Spy“ seine Memoiren.

Ein anderer Fall betrifft die ehemalige israelische Soldatin Anat Kam. Sie soll Tausende interne Dokumente des Militärs an einen Journalisten weitergeleitet haben, ehe sie vom israelischen Geheimdienst überführt wurde. Fortan lebte Kam unter Hausarrest, ohne dass jemand etwas davon wusste. Über ihre Haft informierte Israel erst unter Druck, nachdem ausländische Medien den Fall publik gemacht hatten.

Dasselbe Muster ist nun bei Ben Zygier zu erkennen. Mit ABC war es wiederum ein australisches Medium, das den Fall aufdeckte. Der australische Aussenminister Bob Carr verlangte heute von Israel die Aufklärung: „Ich bin beunruhigt über die Berichte. Wir haben nichts von dem Fall gewusst.“ Israel, das im aktuellen Index für Pressefreiheit auf Rang 112 von 179 Nationen liegt, ging zunächst nicht auf diese Bitte ein. Im Gegenteil: Die Regierung drängte die Medien, den Fall nicht aufzugreifen, wie israelische Zeitungen berichten.

„Es ist nicht unwahrscheinlich, dass noch weitere Menschen in geheimer Haft sind. Zumindest in diesem Punkt unterscheidet sich das Vorgehen Israels nicht von demjenigen anderer Länder. Viele Episoden in der Geschichte Israels sind ungeklärt und stehen unter strengster Geheimhaltung. Wer versucht, sie zu verraten, kommt selbst ins Gefängnis“, sagt der Autor und Journalist Ronen Bergman, der gegenwärtig ein Buch über den Mossad verfasst.

Mein Fazit: Es war ein taktischer Fehler vom Regierungschefs Benjamin Netanjahu, dass er Dienstag in Panik alle Chefredakteure der israelischen Zeitungen und Medien zu einer Notsitzung versammelte und von ihnen verlangte, die ausländischen Medien über die Mossad-Affäre im Land zu zitieren. (jns / Agenturen)



Kategorien:Politik, Sicherheit

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