
Mit 90 Jahren gewinnt Schimon Peres endlich die späte Liebe seiner Landesleute. Bissigen Spott muss er trotzdem ertragen.
(Foto: REUTERS)
„Wir haben unsere Queen, ihr habt euren Schimon“, stellt der britische Ex-Premier Blair zum 90. Geburtstags des israelischen Staatschefs Peres gerührt fest. Doch die Israelis reagieren bockig: Der Kult um Peres Geburtstag erinnere an Nordkorea, ätzen die Zeitungen. Aber eigentlich haben sie ihren „Kim Il Peres“ doch ganz gerne.
Sein Geburtsdatum ist wie seine Lebensbilanz – nicht ganz eindeutig und offenen Fragen unterworfen. Irgendwann zwischen dem 2. und dem 16. August 1923 wurde Szymon Perski im ostpolnischen Wischnewa geboren, das heute zu Weissrussland gehört. Als Elfjähriger kam er ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina, nannte sich fortan Schimon Peres und glich seinen Geburtstag dem jüdischen Kalender und dem Datum seiner Alija, der Rückkehr ins Gelobte Land, an.
Die Ursache der Konfusion um das Geburtsdatum ist also schnell aufgeklärt. Komplexer ist die Antwort auf die Frage, warum der nun 90-jährige Friedensnobelpreisträger international seit langem hochgeachtet wird, in Israel selbst aber erst seit seiner Wahl zum Staatsoberhaupt 2007 die Zuneigung erfährt, die dem Vollblutpolitiker zuvor jahrzehntelang versagt wurde.
Schon mit 29 Jahren wurde Peres von seinem politischen Ziehvater David Ben Gurion zum Generaldirektor im Verteidigungsministerium ernannt. Er fädelte mit französischer Unterstützung das bis heute geheime Atomprogramm ein, wurde 1959 erstmals ins Parlament gewählt und galt lange Jahre als Vertreter einer harten Linie gegenüber den Palästinensern.
Je dreimal war der Sohn eines Holzhändlers und Cousin der Hollywood-Schauspielerin Lauren Bacall, Regierungschef, Verteidigungs- und Aussenminister. 48 Jahre lang sass er für drei verschiedene Parteien in der Knesset und gehörte 16 Regierungen an. 1994 erhielt er zusammen mit Jassir Arafat und Jitzchak Rabin den Friedensnobelpreis für seine Verdienste im Oslo-Friedensprozess. Jitzchak Rabin wurde im November 1995 von einem streng-religiösen israelischen Studenten ermordet und Peres übernahm das Amt des Ministerpräsidenten.
Der eloquente Mann prägte entscheidend die Geschicke Israels mit und wird heute, als letzter Vertreter der politischen Gründergeneration, auch bewundert für seine nicht versiegende Vitalität. Doch das Verhältnis zu seinen Landsleuten war all die Jahrzehnte mehr als gespalten. Obwohl er 19 Jahre lang die israelische Arbeitspartei führte, galt Peres als „ewiger Zweiter“, der keine Wahlen gewinnen konnte und zumeist im Schatten charismatischerer Politiker agierte. Auch Regierungschef wurde Peres nie als Wahlsieger, sondern zweimal mit Übergangsmandat und einmal im Rahmen einer Rotationsabsprache. „Schimon Peres würde selbst dann verlieren, wenn er gegen Schimon Peres anträte“, spotteten seine Kritiker.
Die israelische Öffentlichkeit reagierte deshalb deutlich irritiert, als das Umfeld des Präsidenten im Juni eine vorgezogene bombastische Geburtstagsfeier mit 3000 Gästen organisierte. Vor allem ein Einspielfilm, der im Beisein von Ex-US-Präsident Bill Clinton (der sich seinen Auftritt teuer bezahlen liess) und den US-Schauspielern Sharon Stone, Barbra Streisand und Robert de Niro die Verdienste des Geburtstagskinds übertrieben herausstellte und unpassende Lebensabschnitte ausliess, erregte breiten Widerspruch.
Von der linken „Haaretz“ bis zum konservativen Massenblatt „Jediot Ahronot“ beklagten die Kommentatoren „Personenkult im Stil Nordkoreas“ rund um „Kim Il Peres“. Und die Biografen machten sich daran, an den anderen Peres, den Falken und ewigen Rivalen des ermordeten Jizchak Rabin zu erinnern: So hatte Peres 1975 als Verteidigungsminister im Widerspruch zur Haltung seiner Arbeitspartei ultranationalistischen Siedlern Rückendeckung gegeben, die die ersten drei jüdischen Siedlungen im Herzen des Westjordanlands errichteten.
Der Publizist David Landau, der zusammen mit Peres zwei Biografien verfasste, ist sich sicher, dass „die internationale Gemeinschaft nicht die Langlebigkeit von Peres feierte, sondern seine Bussfertigkeit“. In einem Gastkommentar für die „Haaretz“ schrieb Landau: „Schimon Peres als die Verkörperung der Hauptströmung der israelischen Politik personifiziert den schmerzlichen und widerwilligen Bruch mit der Idee von Gross-Israel“. Gereift habe sich Peres der Zweistaatenlösung verschrieben, „verspätet, aber rückhaltlos“, schrieb Landau.
Bei aller Kritik wird jedoch auch sein Durchhaltevermögen bewundert. Mit 90 Jahren ist Peres nun das älteste arbeitende Staatsoberhaupt weltweit. Bevor er vor sechs Jahren erstmals eine Wahl gewann und das Präsidentenamt übernahm, erklärte er, sich im Fall seiner Niederlage intensiv Gedanken um seine Zukunft machen zu wollen. Diese Ankündigung aus dem Mund eines Mitt-Achtzigers wurde zum geflügelten Wort aller betagten Israelis. Peres sei von der Zukunft besessen, wie die alljährlich unter seiner Schirmherrschaft stattfindende Präsidentenkonferenz „Facing Tomorrow“, in deren Rahmen die Geburtstagssause stattfand, zeige, heisst es.
Neben der Politik hatte nicht viel anderes Platz in seinem Leben. Er könne nicht mal Urlaub machen, verriet Peres vor einigen Jahren. „Was soll ich denn im Urlaub, mehr schlafen, mehr essen? Immer wenn ich Urlaub brauche, lese ich ein Buch. Ich schwimme lieber im See der Weisheit als im salzigen Meerwasser.“ Seine Frau unternahm im Jahr 2008 einen letzten Versuch, ihren Ehemann nach 62 Jahren mal für sich zu haben: „Genug, ich will nicht, dass Du weiter Präsident bist“, wurde sie zitiert. Sie wollte mit ihrer Jugendliebe ins Altersheim umziehen, hatte aber keinen Erfolg mit ihrem Vorstoss. An dem Tag, als ihr Mann seine Kandidatur für das Präsidentenamt verkündete, wurde sie mit Herzbeschwerden in einem kritischen Zustand ins Krankhaus eingeliefert. Nach der Wahl weigerte sich die stille Frau dann, mit Peres in die Residenz nach Jerusalem zu ziehen. Sie blieb in ihrem Haus in Tel Aviv, wo sie im Januar 2011 im Alter von 87 Jahren starb und neben Schimon drei Kinder, zahlreiche Enkelkinder und zwei Urenkel hinterliess. Dass sie ihr bescheidenes Privatleben dem auf der politischen Bühne vorzog, wurde ihr in Israel jahrelang übelgenommen. Sie sei schuld daran, dass Peres oft einsam und traurig wirke, hiess es. Mit ihr an seiner Seite hätte er so manche Wahl vielleicht doch gewonnen.
Als Präsident scheint Schimon Peres endlich angekommen zu sein. Seit seinem Amtsantritt 2007 hat der zweimalige frühere Ministerpräsident auch eine aktive Rolle in der internationalen Diplomatie übernommen, obwohl das Präsidentenamt in Israel ähnlich wie in Deutschland auf Repräsentation ausgerichtet ist. Zwar arbeitet er eng mit dem konservativen Regierungschef Benjamin Netanjahu zusammen, vertritt dabei nach aussen aber eine weniger robuste und dafür eher behutsame Politik. Immer wieder wirft Peres sein Prestige in die Waagschale, das er im Westen als Architekt der früheren Friedensabkommen mit den Palästinensern und Repräsentant des aufgeklärten Israels geniesst, um sein Land vor wachsender internationaler Isolation zu schützen.
Und nach all den Jahren des Engagements für den Zusammenhalt der politisch, ethnisch und religiös zerrissenen israelischen Gesellschaft, dankt diese ihm endlich dafür: 77 Prozent der Israelis sind nach einer aktuellen Umfrage der Ansicht, Peres sei ein gutes Staatsoberhaupt. Nach all den Skandalen – sein Vorgänger Mosche Katzav sitzt wegen Sexualdelikten im Gefängnis – steht das Amt dank Peres wieder für Würde und Weisheit.
Angesichts seiner legendären Energie und der Tatsache, dass er auf dem internationalen Parkett unzweifelhaft ein grosser Aktivposten für sein Land ist, verwundert da das sich hartnäckig haltende Gerücht nicht, er könnte nach 2014 eine weitere Amtszeit anstreben. Vermutlich hat der charismatische Optimist schon darüber nachgedacht. Denn Ruhestand ist einfach nichts für den jugendlichen 90-Jährigen: „Keiner sollte in Rente gezwungen werden, nur weil er das offizielle Ruhestandsalter erreicht hat“, sagte Peres unlängst bei einer Konferenz mit dem Titel „Das neue Alter“. In Israel gehen Männer mit 67 Jahren und Frauen mit 62 Jahren in Rente. Wer da noch keine Lust auf Strand und Enkel hat, hat ohne Zweifel einen starken Fürsprecher. (JNS n-tv.de , sla/AFP)
Kategorien:Gesellschaft
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