Basler Architekten bauen in Jerusalem


Nationalbibliothek in Jerusalem2017 soll in Jerusalem die Nationalbibliothek Israels eröffnet werden, erbaut von den Basler Architekten Herzog & de Meuron. Ein Prestigeprojekt mit einer unruhigen Vorgeschichte.

Ein paar Schritte südlich der Knesset in Jerusalem, an der Kreuzung der Strassen Kaplan und Rupin, wo jetzt nichts ist ausser Sträuchern, Bäumen und von der Sonne gedörrtem Gras, sollte 2016 die Nationalbibliothek Israels eröffnet werden. Sollte. Denn die Planung befindet sich, noch vor dem ersten Spatenstich, bereits um ein Jahr im Rückstand. Im September 2012 verkündeten die Direktion der Nationalbibliothek und die private israelische Rothschild-Stiftung Yad Hanadiv – die treibende Kraft hinter dem Neubauprojekt – den Namen des Architekten, der Israels Nationalbibliothek der Zukunft bauen sollte: Rafi Segal, Israeli mit Abschluss am Technion Haifa und der Princeton University und Dozent für Architektur in Harvard. Das Projekt ist prestigeträchtig: Nicht nur soll die neue Bibliothek aus ihrem bisherigen Umfeld auf dem Universitätscampus Givat Ram, wo sie die vergangenen 50 Jahre eingebunden war, ausgelagert und in die Nachbarschaft der Knesset und des Israel Museums gestellt werden, auch ihr Status wird aufgewertet: 2007 hat die Knesset per Gesetz die Institution, bisher die Bibliothek der Geisteswissenschaften mit den archivarischen Schwerpunkten Judaica, israelische Literatur und Printmedien sowie Islam im Nahen Osten, aus der Verantwortung der Universität herausgehoben und zur Nationalbibliothek erklärt. Fortan sollte, so der Gesetzesauftrag, die Bibliothek jede Publikation und jedes Tondokument, die in Israel oder weltweit über Israel und das Judentum veröffentlicht werden, in ihren Bestand aufnehmen. Der Neubau soll diese Aufwertung in Stahl und Beton giessen, und es schien auf der Hand zu liegen, dass ein israelischer Architekt diese Aufgabe erfüllen sollte. «Sein Vorschlag beweist ein tiefes Verständnis der historischen Bedeutung einer Nationalbibliothek und demonstriert Einfühlungsvermögen in die besondere Lage der Bibliothek in Jerusalem», schrieb das Entscheidungsgremium nach der Wahl von Rafi Segal, damals im vergangenen September.

Architektur und Politik

Ein Jahr später ist der Name Segal längst vom Tisch und das Projekt verzögert sich. Kurz nach dem Entscheid wurde aus der Jerusalemer Stadtverwaltung Kritik an der Wahl Segals laut. Ein Vertreter der städtischen Bau- und Planungskommission hielt dem Architekten vor, man könne nicht staatliche Aufträge empfangen und gleichzeitig «in der ganzen Welt Israel ins Gesicht spucken». Die Vorwürfe gründeten auf dem Buch «A Civilian Occupation: The Politics of Israeli Architecture», das 2003 erschien und bei dem Segal als Co-Autor mitwirkte. Das Buch behandelte die Funktion von Architektur und Landschaftsplanung in der israelischen Besatzungspolitik.

Fehlte es ausgerechnet dem Architekten der Nationalbibliothek an zionistischem Engagement? Zumindest beendete die Bibliotheksdirektion bereits im Dezember die Zusammenarbeit mit Rafi Segal. Neben der politischen Debatte dürften auch Plagiatsvorwürfe an Segal eine Rolle gespielt haben: Bing Wang, die wie Segal in Harvard doziert und eine Design­firma leitet, beschuldigte ihn des Ideenklaus – oder präziser: einen seiner Mitarbeiter, der auch in Wangs Betrieb tätig gewesen sei und Elemente des Designs mitgebracht habe, ohne die Urheberschaft zu erwähnen. Einer Klärung des Copyrights kamen Nationalbibliothek und Yad Hanadiv zuvor und zogen, allerdings ohne detaillierte Begründung, die Wahl Segals zurück.

Stattdessen soll eine Marke mit globaler Ausstrahlung das Projekt ausführen: Im April 2013 wurde bekannt, dass nicht ein Israeli die Bibliothek bauen wird, sondern die Basler Star­architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Deren Portfolio: Tate Gallery London, Nationalstadion Peking oder die – noch unfertige – Hamburger Elbphilharmonie. Herzog & de Meuron wurden ausgewählt, ohne dass sie Pläne oder Visualisierungen eingereicht hatten: das Entscheidungsgremium war «ausserordentlich beeindruckt» vom Engagement, das die beiden Architekten während eines eineinhalbstündigen Gesprächs gezeigt hätten: «Es war sowohl innovativ wie eindeutig fokussiert», schrieb das Gremium in seiner Begründung.

Konzerte und Lesesäle

Danach soll die Bibliothek, die 1892 als Bnai-Brith-Bibliothek gegründet worden war und unter anderem die Bibliothek von Gershom Scholem oder das Privatarchiv der Kaufmannsfamilie Sassoon beherbergt, mehr sein als das bedeutendste Judaica-Archiv mit rund fünf Millionen Beständen, die gegenwärtig aufwendig digitalisiert werden. Geplant sind ausserdem Räumlichkeiten für Kulturveranstaltungen – Lesungen, Theater, Konzerte, Ausstellungen. Eröffnet wird 2017, die voraussichtlichen Baukosten betragen 150 Millionen Dollar, wobei rund zwei Drittel die Rothschild-Stiftung beitragen wird – dieselbe Stiftung, die bereits den Bau der Knesset sowie des Obersten Gerichtshofes mit angestossen hatte. (Andreas Schneitter, tachles)



Kategorien:Wissenschaft

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