Warum Frankreich den Iran-Deal platzen liess


IAEAEin „historischer Deal“ mit dem Iran wird angekündigt, keinen Tag später werden die Gespräche zum Atomstreit zum ungezählten Mal vertagt. Wer war da von welchen Interessen geleitet? Klar ist: Eine echte Einigung mit dem Iran würde die Machtverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten, aber auch im Westen auf den Kopf stellen und womöglich zu völlig absurden Bündnissen führen.

Was in Genf am vergangenen Wochenende passiert ist, war ein PR-Desaster der internationalen Politik. Ein mächtiger Aussenminister nach dem anderen bestieg ein Flugzeug, um dabeizusein, wenn die Unterhändler der 5+1-Gruppe (die ständigen Uno-Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland) einen „historischen Deal“ mit dem Iran abschliessen würden. John Kerry aus den USA, William Hague aus Grossbritannien, Laurent Fabius aus Frankreich und Guido Westerwelle waren als erste da, einen Tag später kamen nach einigem Zögern auch Sergej Lawrow und der chinesische Vizeaussenminister Li Baodong in Genf an. Doch was es nicht gab, war die ersehnte Einigung mit dem Iran nach jahrelangem Atomstreit. Zur Erklärung hiess es, es gebe noch „Differenzen“ in einigen wichtigen Punkten.

Was war passiert? Schaut man genauer hin, ist das Interesse an einer Einigung mit dem Iran nicht so klar, wie es von den Beteiligten nach aussen transportiert wird. Eine echte Einigung mit dem Iran in der Atomfrage könnte Interessen einiger Staaten gefährden, die in offiziellen Verlautbarungen lieber nicht laut ausgesprochen werden. Insbesondere die westlichen Staaten, die mit am Verhandlungstisch sassen, sind Getriebene ihrer eigenen widersprüchlichen Politik im Nahen und Mittleren Osten.

Das Gebiet ist seit Jahrzehnten Schauplatz geostrategischer Machtspiele. Verschieben sich die Gewichte dort, kommen Europäer wie Amerikaner in die Not, ihre Politik anpassen zu müssen. Und Teil des Spiels sind noch viel mehr Akteure, die auch nicht zu knapp in den Verhandlungsprozess eingegriffen haben, allen voran die beiden Regionalmächte Saudi-Arabien und Israel. Die Iranfrage führt in der schwer bewaffneten Region – die in diesem Fall bis Pakistan reicht – zu geradezu schizophrenem Verhalten und unfreiwilligen Allianzen zwischen alten Feinden.

Frankreich wird nun massgeblich dafür verantwortlich gemacht, dass die schon beinahe angekündigte Einigung mit dem Iran nicht zustande kam. Irans Aussenminister Jawad Sarif twitterte lakonisch, an seinen amerikanischen Kollegen Kerry gerichtet: „Herr Minister, war es der Iran, der Donnerstagnacht den Entwurf der USA demontierte? Und der am Freitagmorgen öffentlich dagegen Stellung bezog?“ Das spielte auf eine im Alleingang gehaltene Pressekonferenz von Laurent Fabius an. Aus Sicht des Iraners haben ganz klar die Franzosen die Einigung sabotiert, und das offenbar mit einem kräftigen Anschub aus Israel.

In der Tat haben die Franzosen Beweggründe, so zu handeln. Sie pflegen sehr enge Beziehungen zu Israel. Kommenden Sonntag besucht Frankreichs Premier Francois Hollande Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und hat offenbar keine Lust, sich mit diesem über den Iran zu streiten. (Erst neulich krachte es zwischen Netanjahu und Kerry, als dieser spontan nach Genf fliegen wollte.) Einem Bericht der israelischen Zeitung „Times of Israel“ zufolge hat der französische Abgeordnete Meyer Habib, Vorsitzender des jüdischen Dachverbandes in Frankreich und angeblich eng mit Netanjahu befreundet, erheblichen Druck auf Aussenminister Fabius aufgebaut. „Wenn Sie Ihre Haltung nicht verschärfen, wird Netanjahu den Iran angreifen“, soll Habib gewarnt haben. „Ich weiss das. Ich kenne ihn. Sie müssen Ihre Position verschärfen, um Krieg zu verhindern.“

Fabius erklärte später, die Iraner hätten sich geweigert, den neuen Schwerwasserreaktor Arak nicht in Betrieb zu nehmen. Bei diesem fällt Plutonium an, das für die Produktion von Atomwaffen verwendet werden könnte. Die Bedenken Frankreichs gehen jedoch noch viel weiter. Wie auch die Bundesrepublik und Grossbritannien verdient das Land Milliarden durch den Verkauf von Waffen an Saudi-Arabien. Das Königreich ist bereits hochgerüstet wie kaum ein anderer Staat in der Region. Die Militärausgaben pro Jahr belaufen sich auf zirka 42 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die ebenfalls hochgerüstete Türkei gibt 33 Milliarden Euro aus, der Iran 14 und Israel knapp 11 Milliarden Euro. Saudi-Arabien, Irans alten Widersacher um die Vorherrschaft am Persischen Golf, wollen die Franzosen nicht verärgern. Denn, und hier geht es weiter, angesichts der Schwäche der USA in der Region streben die Franzosen selbst nicht weniger an als eine Führungsrolle am Golf. Dazu brauchen sie gute Freunde.

Bereits hier zeigt sich, wie wenig ein veränderter Status Quo in den Iranbeziehungen den vielen Beteiligten eigentlich passt. Beziehungsweise, wie wenig bereit sie sind, sich mit einigen schwer einzuschätzenden Folgeerscheinungen herumzuschlagen. Das gilt auch für Israel, das natürlicherweise überhaupt kein Interesse daran hat, dass befreundete Staaten, auf deren Schutz es angewiesen ist, sich dem Erzfeind Iran annähern. Obwohl die Zeiten vorbei sind, da ein iranischer Präsident dem jüdischen Staat offen mit Vernichtung drohte. Es ist jedoch nicht nur die tatsächliche oder gefühlte Bedrohung durch den Iran, die Israel Sorge bereitet. Eigentlich wäre es dem Staat nicht unwillkommen, wenn das Bedrohungsszenario weiterexistierte. Gäbe es irgendwann in der Zukunft eine echte Einigung mit dem Iran, einhergehend mit aufgehobenen Sanktionen, würde sich wieder mehr Aufmerksamkeit auf Israel richten.

Zudem hätte eine solche Entwicklung die absurde Folge, dass Israel und Saudi-Arabien sich gleichsam als Partner gegen den Iran wiederfänden. Das wahhabitische Königreich gehört zu den Staaten, die Israel nie als Staat anerkannt haben. Die Saudis ihrerseits haben bereits medienwirksam gedroht, sie würden sich eine Atombombe aus Pakistan kommen lassen, wenn der Iran nicht weiterhin wirksam am Bau einer solchen gehindert werde. Wie ernst diese Drohung zu nehmen ist, sei dahingestellt. Immerhin haben die Saudis einige Milliarden nach Pakistan für das dortige Atomprogramm überwiesen.

Die sich anbahnende Freundschaft zwischen Saudi-Arabien und Pakistan wird auch die Amerikaner beschäftigen. Gemeinsam könnten die beiden sunnitischen Mächte den schiitischen Iran von Westen und Osten aus buchstäblich in die Zange nehmen. Sollten sich die USA und der Iran annähern, bedeutet das das Ende der privilegierten Partnerschaft mit den Golfarabern. Doch für die Amerikaner hätte eine Annäherung an den Iran auch Vorteile: Durch den Abzug aus Afghanistan sind sie auf einen Partner angewiesen, der Einfluss dort hat. Iran wäre als Nachbar und Teil des persischen Kulturkreises nicht der schlechteste Partner.

Die USA feierten dennoch das Debakel als Erfolg. Aussenminister John Kerry geht davon aus, dass der seit Jahren währende Atomstreit mit dem Iran in den kommenden Monaten beigelegt werden könnte. Auch ohne die erhoffte Einigung einigten sich die Seiten jedoch auf ein weiteres hoffnungsloses Treffen am 20. November in Genf.

(JNS, n-tv, AFP, dpa)

 



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