
Gideon Levy
ZUR LAGE IN ISRAEL von Gideon Levy
Riskiert Israel, zu einem Apartheidstaat zu werden, wie John Kerry sagte, oder besteht dieses Risiko nicht, wie er wenige Tage später meinte? Wer weiss? Angesichts seines bescheidenen Auftritts als US-Staatssekretär und seiner schmählichen Entschuldigung spielt es vielleicht keine Rolle mehr, was Kerry denkt oder sagt. Berücksichtigen wir die Aggressivität der jüdischen Lobby und die Schwäche der Administration Obama, die vor jedem «proisraelischen» Seufzer kapituliert, so braucht Israel keine Freunde wie diese. Schaut doch, was mit seinem echten Freund passierte, der doch nur versuchte, Israel vor sich selbst zu warnen.
Welch ein miserabler Staatssekretär, der bis zum Hals in Sühne steckt. Und wie unfreundlich benimmt sich Kerry gegenüber Israel, wenn er einzig aus Angst vor der Lobby seine offene, ehrliche und freundschaftliche Warnung zurückzieht. Jetzt wissen Millionen ignoranter Amerikaner, die «Fox News» oder dergleichen schauen, dass Israel kein Risiko läuft, zum Apartheidstaat zu werden. Sie glauben, dass die Macht von Hamas und die Verbesserung der Kassem-Rakete eine existenzielle Bedrohung für Israel bedeuten.
Kerrys Unschlüssigkeit aber ändert nichts an der Realität, die von jeder Mauer herabschreit, von jedem palästinensischen Westbankdorf, von jedem Reservoir und jeder Stromleitung, die nur für Juden sind; «Apartheid» brüllt es von jedem zerstörten Zeltlager und von jedem Urteil des Militärgerichts; von jeder Verhaftung mitten in der Nacht, von jedem Checkpoint, von jedem Räumungsbefehl und jedem Siedlerheim.
Nein, Israel ist kein Apartheidstaat, doch seit fast 50 Jahren kontrolliert ein Apartheidregime seine besetzten Gebiete. Jene, die weiter in einer Lüge leben, unterdrücken und verleugnen wollen, sind eingeladen, Hebron zu besuchen. Keine ehrliche, anständige Person könnte zurückkommen, ohne die Existenz von Apartheid zuzugeben. Wer dieses politisch unkorrekte Wort fürchtet, muss nur ein paar Minuten die Shuhada-Strasse entlanggehen, mit der Segregation auf ihren Wegen und Bürgersteigen, und die Angst vor der Benutzung des verbotenen Wortes würde spurlos verschwinden.
Die Geschichte des Konflikts ist gefüllt mit verbotenen Wörtern. Einst war es verboten, «Palästinenser» zu sagen, danach folgte das Verbot für Begriffe wie «Besetzung», «Kriegsverbrechen», «Kolonialismus» oder «binationaler Staat». Jetzt ist «Apartheid» verboten.
Die verbotenen Wörter lähmen jede Debatte. Die Wahrheit ist nicht länger wichtig. Doch weder politische Korrektheit noch eine noch so frömmlerische Reinigung kann die Realität auf ewig verbergen. Und die Realität ist ein Besatzungsregime der Apartheid.
Die Neinsager können zahllose Unterschiede zwischen der Apartheid von Pretoria und jener von Jerusalem finden. Die Apartheid von Pretoria war offen rassistisch und im Gesetz verankert. Die von Jerusalem wird dementiert und verdrängt, verborgen zwischen einer schweren Wolke von Propaganda und messianisch-religiösem Glauben. Doch das Resultat ist das gleiche. Einige Südafrikaner, die unter dem System der Segregation gelebt haben, sagen, ihre Apartheid sei schlimmer gewesen. Ich kenne Südafrikaner, die sagen, die Version in den Gebieten sei schlimmer. An der Wurzel kann aber keine der Gruppe einen wesentlichen Unterschied finden: Wenn zwei Nationen auf dem gleichen Stück Land sitzen, und die eine geniesst volle Rechte, die andere aber hat überhaupt keine, dann ist das Apartheid. Wenn es aussieht wie Apartheid und funktioniert wie Apartheid, dann ist es Apartheid.
Israel ist ein Apartheidstaat in seiner Anfangsphase, wie Kerry I. zuerst sagte. Kerry II. versuchte einzig, aus Furcht vor der Lobby die Wahrheit zu verwischen und zu verbergen. Doch Apartheid ist für unsere Zukunft vorausgesagt. Wenn es nicht zwei Staaten geben wird, dann wird es nur einen geben. Wenn es kein demokratischer, egalitärer Staat für alle seine Bürger sein wird, dann wird es ein Apartheidstaat sein. Eine andere Option gibt es nicht. Mit seinen Handlungen sagt Israel ein kräftiges «Nein» zur Zweistaatenlösung. Mit seiner Furcht vor einem nicht jüdischen Staat sagt Israel Nein zu einem demokratischen, binationalen Staat. Was bleibt uns da noch übrig? Ein Apartheidstaat. Wie die Komponistin Naomi Shemer es in ihrem berühmten Lied «Machar» («Morgen») sagte: «Wenn nicht heute, dann morgen, und wenn nicht morgen, dann am Tag danach.»
Gideon Levy ist Journalist bei «Haaretz».
Kategorien:Nahost
1. Juni – Internationaler Farhud-Tag
Mitglieder der «Höhle der Löwen»-Zelle festgenommen
20.000 zusätzliche Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser
Syrien setzt Flüge von und nach Damaskus aus
Hinterlasse einen Kommentar