Für die Juden ist Basel ein geschichtsträchtiger Ort. Seit tausend Jahren bevölkern sie die Gegend, und Ende des 19. Jahrhunderts rückte Basel in den Fokus der Weltöffentlichkeit, als Theodor Herzl hier den Zionistenkongress veranstaltete. Vom einstigen Glanz ist nicht viel übrig geblieben. Die Israelitische Gemeinde Basels (IGB) steckt in einer existenziellen Krise, sodass sich die Frage stellt: Gibt es sie in fünf oder zehn Jahren überhaupt noch?

Der Besuch der Infoveranstaltung am Donnerstagabend im Gemeindehaus der IGB verdeutlichte, mit wie vielen Problemen sich der neue Vorstand um Präsident Manuel Battegay herumschlagen wird. Da ist der Mitgliederschwund. In den vergangenen zehn Jahren hat die Israelitische Gemeinde Basels weitere 200 Mitglieder verloren – mittlerweile sind es noch etwas über 900. Da ist das Defizit im vergangenen Jahr. Zwei Millionen Franken, nachdem ein Minus von einer halben Million Franken budgetiert worden war. Und da ist ein interner Zwist zwischen altem und neuem Vorstand, der auf eine desolate finanzielle Lage getroffen sei, wie er in einem Brief an die Gemeindemitglieder erklärte.

Battegay betonte bei der Info-Veranstaltung zwar, dass die anstehende professionelle Durchleuchtung der Buchhaltung nicht dazu führen solle, dass Schuldige benennt würden. Und trotzdem lag der Vorwurf in der Luft: Jahrelang habe bei der jüdischen Gemeinde Laisser-faire geherrscht. Gegenüber dem jüdischen Wochenmagazin «Tachles» wies Battegay etwa darauf hin, dass zwischen August 2017 und März 2018 keine laufende Buchhaltung geführt worden sei.

In seinem Brief an die Mitglieder hatte Battegay klare Worte gefunden. «Im Bereich Finanzen ist die IGB ein Sanierungsfall», schrieb er, und am Donnerstag war er nicht weniger deutlich. «Die Verhältnisse sind wirklich kritisch. Wir müssen jetzt etwas machen, sonst sind wir in sieben bis zehn Jahren Konkurs.»

Dass gehandelt werden müsse, darüber sind sich die Juden einig. Nur, wo anfangen? Gegen die gesellschaftlichen Entwicklungen ist kein Kraut gewachsen. Die Abkehr vom Glauben ist nicht nur im Christentum, sondern auch im Judentum ein Thema. Jugendliche und halbinteressierte Juden treten aus, weil sie sich die Steuern sparen wollen.

Andere treten nicht mal aus, um sich ihrer Steuerschulden zu entledigen. Zweihundert Mahnungen, sagte die Kassiererin der Gemeindeversammlung, habe sie an Steuersünder verschicken müssen – was einen Ausfall von knapp einem Viertel des Steuersubstrats bedeutet.

IGB-Vorstandsmitglied Jeremy Weill sagt, Basel habe zudem die wirtschaftliche Strahlkraft verloren, die es einst besessen hatte. Viele der gut ausgebildeten Juden zögen aus beruflichen Gründen nach Zürich. Andere wiederum verlassen Basel, um in Israel zu studieren. In Gesprächen mit mehreren Juden, die in Basel aufgewachsen sind, wird deutlich, dass die Sehnsucht nach Sicherheit und Integration ein wesentlicher Grund fürs Auswandern ist. «Es ist nicht so, dass wir im Alltag Antisemitismus erfahren», sagt ein junges IGB-Mitglied, «aber man fühlt sich oft unverstanden, gerade wenn man über Politik spricht».

Ein mancher Jude trägt auch ein latentes Unbehagen mit sich herum und stellt sich die Frage: Wird es irgendwann mal auch in Basel einen Anschlag geben? Und dann gibt es noch die Vorschriften, die in streng-religiösen Kreisen gelten: Als Jude darf man nur eine Jüdin heiraten. Das ist eine Herausforderung, wenn man bedenkt, wie der Markt austrocknet. Für die Partnersuche treibt es viele nach Tel Aviv, Zürich oder gar New York.

So sind es statt der einst 1800 IGB-Mitglieder noch knapp die Hälfte. Doch immer noch unterhält und subventioniert die Gemeinde Strukturen eines ganzen Dorfs. Es gibt eine jüdische Bibliothek, eine Kindertagesstätte, eine Schule und ein Restaurant, in dem koscher serviert wird. Der neue Vorstand sagt, man werde sich künftig auf die Kernaufgaben konzentrieren müssen. Die Koscherversorgung, Religiöses, Friedhofsbelange und Fürsorge sowie Sicherheit und vor allem die Finanzen. Neun Angestellte hat der IGB heute, fünf könne man sich leisten, heisst es im jüngsten Geschäftsbericht.

Was an in den kommenden Jahren auf die Basler Juden zukomme, werde «unbequem», meinte Battegay, am ehesten vergleichbar mit einer Wanderung auf einen Berg. Oft gehe er mit seiner Frau wandern. «Wir stehen nun ganz unten und haben alles vor uns», sagte er. Immerhin stünde man mit einem gepackten Rucksack bereit, um den Gipfel zu erklimmen. (Leif Simonsen, BZ / Foto: Kenneth Nars)