Ägypten: Schuld sind immer die Juden


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Eldad Beck
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Von Eldad Beck

Erst wenn Antisemitismus als Triebkraft bekämpft wird, hat der Nahe Osten eine Zukunft.

in Bild ist es, das die Tragik Ägyptens, ja, des gesamten Nahen Ostens zu erklären vermag: Es zeigt Aktivisten der Opposition gegen Präsident Muhammad Mursi, die in Kairo auf einer israelischen Fahne herumtrampeln und danach unter grossem Jubel dieses Symbol des jüdischen Staates verbrennen. Zweieinhalb Jahre nach Ausbruch des Arabischen Frühlings und ein Jahr nach der Wahl eines islamistischen Präsidenten erlebt Ägypten derzeit die tiefste Krise seiner jüngeren Geschichte. Doch auch in dieser höchst schwierigen Stunde bleibt eines konstant: der kranke Hass auf Israel und die Juden.

Schon während der ersten Revolutionswelle im Januar 2011 wurden Israel und die Juden von allen Seiten für die Misere Ägyptens verantwortlich gemacht: Die einen glaubten, Präsident Husni Mubarak habe für das »Weltjudentum« gearbeitet, die anderen waren überzeugt, mit dem Anzetteln der Revolution wollte Israel Ägypten zerstören. Die Muslimbruderschaft gewann nicht zuletzt deswegen die Wahlen, weil sie versprach, den Frieden mit Israel zu annullieren. Einer der ersten Beschlüsse des neuen Parlaments in Kairo war tatsächlich, den Friedensvertrag mit Israel zu kündigen; nur aus taktischen Gründen wurde der Beschluss bislang nicht durchgesetzt.

Diese obsessive Beschäftigung mit Israel ist keinesfalls eine ägyptische Spezialität: Erst vor wenigen Wochen erklärte der türkische Premier Tayyip Erdogan, dass jüdische »Finanzkräfte« hinter den Protesten gegen seine Regierung stünden. Syriens Diktator Assad verkündete schon ganz am Anfang des Bürgerkrieges in seinem Land, dass es Israel gewesen sei, das die Revolte gegen seine Macht verursacht habe.

Selbsternannte Nahostexperten wollen uns bei jeder Gelegenheit überzeugen, dass der Arabische Frühling nichts mit Antisemitismus zu tun habe, und wenn doch, dann nur als Ausdruck von Israelhass, der doch aus dem Nahostkonflikt resultiere. In Wahrheit aber war und ist Antisemitismus eine wichtige politische Komponente im Nahen Osten. Die Massen der Region sind daran gewöhnt, an allem und jedem immer anderen die Schuld zu geben. Israel und die Juden, als Projektion des Anderen in dieser Region, fungieren als der perfekte Sündenbock.

Solange diese tief sitzende Fehlwahrnehmung nicht überwunden ist, kann man nirgendwo auf eine positive Entwicklung in Nahost hoffen.

Der Autor ist Korrespondent der israelischen Tageszeitung »Yedioth Ahronoth«.

(Jüdische Allgemeine, JNS)



Kategorien:Nahost

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1 Antwort

  1. Ihr Autor verwechselt schon wieder „Juden“ und „Staat Israel“. Das ist nicht ungewöhnlich, weil die Frage, ob die Juden ein Volk oder eine Religion sein, eh nach jeweiliger Opportunität beantwortet wird. Insofern wird die Sache schon deshalb besonders unübersichtlich, weil wir es mit
    – der jüdischen Religion
    – dem jüdischen Volk
    – dem (jüdischen?) Staat Israel
    zu tun haben.

    Und das Verhältnis dieser drei Dinge zueinander ist völlig unklar.

    Was nun den Staat Israel angeht: Hier kommen wir an der Tatsache nicht vorbei, daß der Staat Israel ein Konstrukt der Vereinten Nationen ist, das aus britischem Mandatsgebiet hervorgegangen ist. Theodor Herzl wollte einen (säkularen!) Judenstaat, bei dem es ihm völlig egal war, wo der ist, es waren sogar Gegenden in Argentinien und Uganda im Gespräch, wenn ich mich nicht irre.

    Die Idee, einen solchen Judenstaat in Palästina zu erreichen (die von orthodoxen Juden als Gotteslästerung empfunden wird, da die Errichtung eines Königreiches Israel an den heiligen Städten dem Messias vorbehalten ist), entstammt letztlich der Balfour Deklaration, und hat endlich zu einem Konstrukt geführt, das bis heute zu einem Konflikt zwischen säkularen Israelis und orthodoxen Juden führt (wie an den jüngeren Konflikten zu sehen ist) und zu dessen Gründung ein funktionierendes (wenn auch unter britischer Verwaltung stehendes) Palästina vollkommen unsinnig zerstückelt werden musste. Das entstehende Konstrukt „Israel“ ist in der Region nie akzeptiert gewesen, es wäre auch ohne HIlfe von außen überhaupt nicht lebensfähig. Es ist ist, um es ganz hart zu sagen, eine Totgeburt vom Tag seiner Gründung an.

    Es mag aus israelischer Sicht verständlich sein, daß man weite Teile als palästinensisch ausgewieser Gebiete schlicht annektiert hat, um das Staatswesen funktionsfähig zu gestalten. in der Region vermittelbar ist dies nicht.

    Was den Antisemitismus angeht, ist hier zweierlei zu sagen. Zum einen ist der Begriff ein Unwort, denn unter diesem Begriff wird raunend alles verpackt, was die jüdische Religion, das jüdsiche Volk, den Staat Israel (s.o.) in irgend einer Weise mit Fragen konfrontiert. Es ist eine Universalklatsche, mit der alles totgeprügelt wird.

    Ferner wird der Antisemitismus auch gerne wieder mal opportunistisch instrumentalisiert. Gerade bei Ägypten denke ich an den schon fast „rein arisch reichsdeutschen“ Mossad Einkauf Wolfgang Lotz, der mit perfekter Wehrmachtslegende ausgestattet, in Kairo den dicken Nazi gemacht und sich als Pferdenarr ausgegeben hat – und sich binnen kürzester Zeit (zum Teil im Wortsinn) intimste Kontakte zur gesamten ägyptischen Millitärkamarilla verschafft hat – das Ergebnis ist bekannt: Israel hat im Sechstagekrieg Ägypten überfallen und die ganze ägyptische Luftwaffe im Hangar zerbombt.

    Hier wurde erst der Antisemitismus als Türöffner genutzt, je lauter Wolfgang Lotz „Sieg Heil!“ gebrüllt hat, desto eher hat ihm die schmachtende Generalsstrohwitwe, Dinge verraten, die ihr der im Felde liegende General besser nie anvertraut hätte, und jetzt glaubt man auf einmal, das ist schon fast grotesk, daß Ägypten nach dem israelischen Überfall und der vernichtenden Niederlage nach dem 5. bis 10. Juni 1967 nun auf einmal den Staat Israel ganz furchtbar liebhaben soll.

    Daß Israel in Ägypten nicht eben wohlgelitten ist, hat sich Israel ganz allein zuzuscheiben. Es hat sich nicht an die Vorgaben der UNO gehalten und sein Staatsgebiet durch einen Überfall auf Ägypten völkerrechtswidrig ausgeweitet.

    Israel hat in der Vorbereitung des Sechstagekrieges den Antisemitismus in der Region instrumentalisiert und durch die Durchführung des Sechstagekrieges zementiert.

    Das möchte sich Ihr geschätzter Autor bitte erstmal vor Augen führen, bevor er hier über Antisemitismus redet.

    Es würde hier inhaltlich zu weit führen, nur kommen wir doch an der Tatsache nicht vorbei, daß es ohne den Antisemitismus (bei dem man erst mal klären müsste, was man damit genau meint) den Staat Israel überhaupt nicht geben würde. Was auch den Orthodoxie-Konflikt erklärt: Die Orthodoxen warten auf den Messias und die Heimkehr ins Gelobte Land – vor die Tür geknallt bekamen sie ein Konstrukt, in dem die britische Mandatsregierung Palästinas ein europäisches Antisemitismusproblem, erlauben Sie mir hier das leider zutreffende Wort, „entsorgt“ hat.

    Die Klärung des Konflikts Religion/Staat ist bis heute nicht erfolgt, der Riss geht bis auf den ersten aschkenasischen Großrabbi, Abraham Isaak Kook, und dessen Sohn, Zwi Yehuda Kook, IIRC den Gründer der israelischen Siederlbewegung, zurück.

    Nun ist das ganze insofern pars pro toto zu verstehen, als die ganze Architektur Nordafrikas und Vorderasiens vom Maghreb bis zum Hindukusch keine „gewachsene Architektur“ ist sondern ein vornehmlich von England und Frankreich am Reißbrett zusammengebasteltes Zeugs am Ende des WK I und am Ende des osmanischen Reiches. Mit allem, was dazu gehört, einem ägyptischen König (von den Engländern eingesetzt), einem Schah von Persion (von England eingesetzt) einem König in Afghanistan (von England eingesetzt) einem Irak (von England gegründet) einem jordanischen König (von England eingesetzt) und und und und und und.

    Man hat da ein wirres Kolonialkonstrukt hinter- und dann sich selbst überlassen – mit dem (vorhersehbaren) Ergebnis, daß das ganze in einer absoluten Katastrophe enden würde.

    Und dabei ist die Implantation eines komplett neuen Staates, der dann auch noch das Völkerrecht ignoriert und die Nachbarn überfallen hat, ein besonders trauriger Extremgriff gewesen.

    Es wird hier keine einfache Lösung des Konfliktes geben, wir können nicht die letzten 100 Jahre rückabwickeln.

    Aber wesentlich wird sein,

    – daß es eine israelisch-palästinensiche Eiinstatenlösung mit einem streng säkularen Staat gibt, der sich nicht in religiöse Belange einmischt,
    – daß dieser Staat endlich mal das Fach Geographie an der Schule einführt und sieht, daß es sich nicht um einen europäischen Staat (mit Teilname am European Song Contest und europäischen Fußballwettbewerben und anderen wannabe Aktionen) handelt sondern um einen Staat mit einem Fuß am Mittelmehr und dem anderen Fuß schon fast auf der arabischen Halbinsel, sprich: Um ein arabisch-vorderarsiatisches Land, und in diese Staatengemeinschaft muß es sich integrieren,
    – daß Israel endlich mal den Konflikt mit seinen orthodoxen Ultras löst – und da ist eigentlich gar nichts zu lösen, weltliches Recht bricht religiöses Recht, das ist seit der Aufklärung so, also werden sich die Orthodoxen dem weltlichen Recht Israels fügen – oder sie werden sich gefügt, das ist in anderen Ländern der Welt auch nicht anders.

    Und endlich wird es nötig sein, daß die Region auch mal sich selber überlassen wird, d.h. die Region muß sich erstmal selber finden. Ein Kolonialkonstrukt (ich hätte jetzt oben noch Italien und andere Länder mit einbeziehen müssen, dazu müsste ich mich nochmal belesen, das schüttele ich nicht im Detail aus dem Ärmel), das nie die Möglichkeit hatte, eine eigene Staatenstruktur, ja eigene Staatsformen (wer sagt, daß das Demokratien nach westlichem Muster sein müssen?) zu entwicklen sondern nur unter seinem kolonialen Gipsverband ächzt, wird nie zu Frieden kommen.

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