Thorazitat – Parascha


„Die Hitbodedut (das persönliche Gespräch eines Menschen mit Gott in der Einsamkeit) ist das Höchste und Grösste, das es auf dieser Welt gibt!“

Thora-Parascha

Sidra: „Nitzawim“
Lesungen: 5. Mose 29,9 – 31,30
Haftara: 61,10 – 63,9

Nizawim –  Psalm 81

Gestalten des Götzendienstes

Die Tora verbietet jede Form des Götzendienstes (hebr: Awoda Sara) im Dekalog, der sowohl im Wochenabschnitt Jitro als auch im Wochenabschnitt Wa’etchanan steht, und auch  an zahlreichen weiteren Stellen (siehe Rabbiner Hirsch, Chorew, Kapitel 16).    Im Wochenabschnitt Nizawim heisst es: „Und sie gingen und dienten fremden Göttern und bückten sich vor ihnen; Götter, die sie nicht gekannt und er ihnen nicht zugeteilt. Da erglühte der Zorn des Ewigen über dieses Land, dass er darauf den ganzen Fluch brachte, der in diesem Buch geschrieben ist“ (Dewarim 29,25 und 26). Auch lesen wir: „Wenn aber dein Herz sich dahin wendet, dass du nicht gehorchen willst, und dich hinreissen  lässest und anderen Göttern dich hinwirfst und ihnen dienst: so habe ich es euch heute angekündigt, dass ihr rasch zugrunde gehen, dass ihr nicht lange Zeit auf dem Boden vollbringen werdet, wohin zu kommen und ihn in Besitz zu nehmen du jetzt den Jarden überschreitest“ (Dewarim 30, 17 und 18).   Vor der Gefahr des Götzendienstes warnt auch Psalm 81: „Nicht soll in dir ein fremder Gott sein, nicht sollst du dich niederwerfen einem Auslandsgott. Ich bin der Ewige dein Gott, der dich aus dem Land Mizrajim  hinaufgeführt. Tue weit deinen Mund, dass ich ihn fülle“ (Verse 10 und 11). A. Chacham macht darauf aufmerksam, dass der Psalmist auf den Anfang des Dekalog Bezug nimmt. (Daher hätte man Psalm 81 Jitro oder Wa’etchanan zuordnen können.) Wenn von Awoda Sara die Rede ist, sollte man nicht nur an ausgestorbene Gestalten des Götzendienstes denken. Der Psychiater Henri Baruk stellte fest: „Die neuen Götzen heissen nicht mehr Baal und Aschterot, sondern Staat, Blut, Rasse und Macht.“ Rabbiner J. B. Soloveitchik erklärte: „Wenn irgendetwas, das nicht Gott ist, zu einem absoluten Wert gemacht wird, dann haben wir einen Fall von Awoda Sara vor uns.“

Psalm 65

Bitte um Verzeihung

Im Wochenabschnitt Wajelech steht, dass Gott Mosche Rabbenu mitgeteilt hat, was in der Zukunft nach seinem Tod passieren wird: „Und der Ewige sprach zu Mosche: Siehe, du wirst bei deinen Vätern liegen, und aufstehen wird dies Volk und nachbuhlen den Göttern der Fremden des Landes, dahin es mitten unter sie kommt, und wird mich verlassen und brechen meinen Bund, den ich mit ihm geschlossen. Und erglühen wird mein Zorn über dasselbe an jenem Tage, und ich werde sie verlassen und mein Antlitz vor ihnen verbergen; und es wird zum Frasse werden, und viele Leiden und Not werden es treffen, dass es sprechen wird an jenem Tage: Ist es nicht darum, weil mein Gott nicht in meiner Mitte, dass diese Leiden mich treffen?“ (Dewarim 31,16 und 17). Rabbiner Hertz sieht in der Frage eine Anerkennung ihrer Schuld und die Erkenntnis, dass die Strafe berechtigt ist.   Allerdings nimmt Nachmanides an, dass das Volk den Weg der Umkehr nicht zu Ende gegangen war. Sonst wäre der folgende Vers kaum zu verstehen: „Ich aber werde mein Antlitz verbergen an jenem Tage ob all dem Bösen, das es verübt, weil es sich zu fremden Göttern hingewandt“ (Vers 18).   In Psalm 65 steht ein Vers, der uns lehrt, wie man den Ewigen um Verzeihung bitten sollte: „Missetaten überwältigen mich, unsere Vergehen, du sühne sie“ (Vers 4). Raschi erklärt: Wir schaffen es nicht, alle Vergehen zu  bekennen, denn es sind viele. Darum die Bitte um die Vergebung aller Missetaten. Im zitierten Psalmvers fällt ein Wechsel von der Einzahl zur Mehrzahl auf. A. Chacham meint, vielleicht sei hier angedeutet, dass ein Vorbeter zuerst die eigenen Sünden bekennt und dann die Vergehen des Volkes, so wie dies der Hohepriester am Jom Kippur im Tempel zu Jerusalem praktiziert hat.   Nach der Tabelle im Siddur Awodat Israel pflegte man Psalm 65 am Jom Kippur zu sagen. Möglicherweise hat Vers 4 diese Wahl mitbestimmt. (Prof. Dr. Yizhak Ahren)

Sidra Nizawim 

Ich rufe heute den Himmel und die Erde an als Zeugen gegen euch: Das Leben und den Tod habe ich dir vorgelegt, den Segen und den Fluch; erwähle nun das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen“ (Dewarim 30, 19).

Obenstehender Vers ist der Kern der dieswöchigen Sidra Nizawim. Wir haben die freie Wahl, es gibt keine Prädestination. Mosche Maimonides (Rambam, 1135-1204; Mischne Tora, Teschuwa 5, 1) ist überzeugt davon, dass jede Person verantwortlich ist, ob sie gut oder böse handelt, wobei, das muss gesagt werden, ‘gut’ und ‘böse’ keine absoluten Kategorien sind. Welche psychisch gesunde Person würde den Tod wählen? Hängen wir nicht instinktiv am Leben? Was bedeutet es, die Wahl zwischen dem Tod und dem Leben zu haben?

Im Targum Jonathan (eine alte aus dem 1. Jh, stammende aramäische Übersetzung der Tora) wird dem Wort ‚Leben‘ (Chajim) « …. ist die Tora» zugefügt. Wählt man also ein Leben mit der Tora, ein Leben mit der jüdischen Tradition, wählt man das Leben. Ein Leben ohne Tora steht dem Tod gleich. Im Jerusalemer Talmud (Kidduschin  1, 7) meint Rabbi Jischma’el, dass ‘Leben’ gleich ‘Beruf’ steht. Ohne Beruf, ohne Arbeit (Einkommen) kein Leben und ohne Leben keine Nachkommen. Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808-1888) erklärt: „Nicht ohne unser ernstliches Wollen, nicht gedankenlos und nicht willenlos und nicht zufällig wird das ‘Leben’ gewonnen. Du musst das Leben wählen, wenn du leben willst“.

Obschon die jüdische Tradition mein Leben grösstenteils bestimmt, bin ich nicht der Ansicht, dass ein Leben ohne jüdische Tradition dem Tod gleicht. Das im Talmud benützte Wort ‘Beruf’ kann als finanziell selbstständig verstanden werden. In einer Zeit, in der Arbeitslosigkeit nicht durch die Gesellschaft aufgefangen wurde, stand der Tod in dem Fall sozusagen um die Ecke. Rabbiner Hirsch, der in einer sozial-politisch mehr organisierten Welt lebte, versteht «wähle das Leben» als eine Kompetenz, bewusst Entscheidungen zu treffen, und zwar so, dass diese Entscheidungen eine Wahl für das Leben, für das Gute sind. Ich möchte daran hinzufügen, dass eine Wahl für das Leben (das letztendlich keine Sache der eigenen Wahl ist) nicht nur bedeutet bewusst und achtsam zu leben, sondern verantwortlich zu sein für die Entscheidungen, an Hand derer man das Leben lebt.

Dies bringt uns zurück zum Namen der Sidra Nizawim, was ‘Aufrechtstehen’ bedeutet. Wir bekommen in dieser letzten Sidra des Jahres einen Leitfaden für das neue Jahr:  «Erwähle nun das Leben.» Wähle Integrität und Gerechtigkeit. Trag Sorge zu den andern und der Welt. Steh aufrecht und sei aufrichtig!

Sylvia und ich wünschen Ihnen ein gutes, süsses, friedliches und vor allem, gesundes neues Jahr.   !  לשנה טובה תיכתבו ותיחתמו

Schabbat Schalom und Schana Towa,
Rabbiner Ruven Bar Ephraim, JLG Zürich

Paraschat Haschawua



Kategorien:Gesellschaft

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