Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Moral sind völlig in Ordnung. Israels konservative Politiker müssen aber aufpassen, dass sie ihre Weltanschauung nicht anderen überstülpen.
Israels derzeitiger Bildungsminister Rafi Peretz hat sich letzte Woche ziemlich intensiv rechtfertigen müssen. Nach ein paar, milde ausgedrückt, problematischen Äusserungen, hatte Peretz sich genötigt gefühlt, einen formellen Entschuldigungsbrief aufzusetzen, der sein Bedauern über seine Äusserungen ausdrücken sollte.
Peretz hatte zunächst während eines Meetings über die aktuelle Situation der jüdischen Gemeinden weltweit die zunehmenden Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden in den USA mit einem „zweiten Holocaust“ verglichen. Nicht nur in Israel, sondern auch in verschiedenen jüdischen Gemeinden in den USA hagelte es daraufhin Kritik. Er setzte daraufhin ein offizielles Entschuldigungsschreiben an Isaac Herzog auf, den Vorsitzenden der Jewish Agency.
Kurz danach hatte Peretz dem israelischen Kanal 12 ein Interview gegeben, ein Gespräch, in dem er deutlich machte, dass er Heilungstherapien für Homosexuelle unterstütze. Peretz betonte, dass er in der Vergangenheit auf diesem Gebiet bereits gearbeitet hat. Interessanterweise hatte er in demselben Interview auch angegeben, er unterstütze die komplette Annektierung Judäa und Samarias, ohne den palästinensischen Anwohnern politische Rechte zuzugestehen. Der Aufschrei richtete sich jedoch nur gegen seine Worte bezüglich der Homosexuellen-Therapie. Wieder beugte er sich dem Druck und drückte in einem Entschuldigungsbrief sein Bedauern bezüglich seiner Wortwahl aus. Er sei gegen solche Therapien und verspreche, alle israelischen Kinder so anzunehmen, wie sie seien.
Die Wogen haben sich mittlerweile wieder geglättet. Doch Israel befindet sich mitten in den Vorbereitungen zu den zweiten Nationalwahlen dieses Jahr und daher gibt es nicht nur eine Fülle an politischen Nachrichten, sondern auch einige sehr wichtige Schlüsse, die hier zu ziehen sind.
Erst einmal zeigt die Kritik aus allen politischen Richtungen, die Rafi Peretz Äusserungen verurteilten, dass die Toleranz und Akzeptanz der LGBTQ Gemeinschaft in Israel einem Konsens zwischen sowohl politisch linken als auch rechten Bekundungen immer näher kommt. Wie erwartet war Peretz aus den Reihen der Linken mit heftiger Kritik überschüttet worden, seine Meinung sei veraltet und hasserfüllt, warf man ihm vor. Viel überraschender war jedoch die Reaktion der religiösen rechtsgerichteten jüdischen Politiker, wie die des ehemaligen Vorsitzenden der „Neuen Rechten“ Partei, Naftali Bennet. In Bezug zu Peretz Interview hatte Bennet geäussert, er gegen diesen „zwanghaften Krieg“ gegen die LGBTQ Gemeinschaft sei und die Worte des Bildungsministers „nicht die Mehrheit der zionistischen religiösen Gemeinde repräsentieren“. Man kann daher die tagelangen Attacken auf Rafi Peretz nach dessen TV-Interview nicht nur auf die „linken Medien“ schieben, noch kann man ihn als ein weiteres Opfer der Liberalen darstellen, die all jene versuchen zum Schweigen zu bringen, die mit ihnen nicht übereinstimmen, während sie ihre Werte der gesamten Gesellschaft aufdrücken wollen.
Des Weiteren tut sich eine wichtige Frage auf, die sich auf das Image der israelischen Gesellschaft bezieht. Wollen wir wirklich einen Bildungsminister, der nur einige unserer Kinder akzeptiert, aufgrund von religiösen Ansichten jedoch nicht alle?
Wir reden hier über den Bildungsminister des Staates Israels und nicht über das, was er in seiner Synagoge oder bei sich Zuhause zulässt und was nicht. Er bekleidet dieses Amt, um allen Israelis, egal welchen Hintergrunds, zu dienen. Ob es die Juden mit ihren verschiedenen religiösen Ansichten sind, Christen, Moslems, Drusen und so weiter – viele haben andere religiöse Ansichten als er. Es geht hier nicht um biblische Moral, es geht hier darum, den Menschen die Freiheit zu lassen, ihr Leben so zu leben, wie sie es wünschen, und andere in dieser Gesellschaft so anzunehmen, wie sie sind, auch wenn sie andere Werte haben. Viele seiner prominentesten Kritiker, darunter mehr als 3000 Lehrer aus ganz Israel, haben eine Petition unterschrieben, die seinen Rücktritt fordert. Dabei geht es nicht darum, dass er seine Werte oder seinen religiösen Lebensstil ändern müsse, sondern er solle als Bildungsminister die Konversions-Therapie nicht unterstützen. Dass man auf moralischer Ebene auch mal nicht übereinstimmt, ist ein individuelles Recht. Doch wenn die Regierung einen Prozess wie diese Therapie vorstellt und befürwortet, ist das falsch.
Es spielt keine Rolle, wie viele Entschuldigungen Rafi Peretz schreibt und wie viele Erklärungen Premierminister Netanjahu veröffentlicht, um die Äusserungen unter den Teppich zu kehren und die israelische Öffentlichkeit zu überzeugen, dass diese Ansichten nicht denen der Regierung entsprechen. Letzten Endes kann davon ausgegangen werden, dass die Äusserungen definitiv seine Ansichten sind. Anders als die von Netanjahu und seiner Likud Partei. Rafi Peretz jedoch und seine gemeinsame Liste religiöser rechtsgerichteter Parteien, darunter extremistische Aktivisten wie Itamar Ben-Gvir und Bentzy Gopstein, die aktiv gegen verschiedene Gruppen im Land demonstrieren, darunter gegen messianische Juden, israelische Araber und gemischte Paare, bilden gemeinsam ein Team für eine Koalition. Und das trotz der Tatsache, dass sie die Meinung der Mehrheit der israelischen Gesellschaft überhaupt nicht repräsentieren, auch nicht die der Likud Partei, sind sie doch das goldene Ticket für das politische Überleben eines Netanjahu.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es bei Netanjahu weniger um den Erhalt seiner politischen Weltanschauung als vielmehr um politisches Überleben geht. Leider zu lasten der israelischen Bürger, besonders jener, die von den rechts aussen Politikern wie Rafi Peretz, Betzalel Smotrich und Bentzy Gopstein delegitimisiert werden. (
, ih)
Kategorien:Politik
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