19 Jahre lang bin ich an den grauen Häusern von Shuafat vorbeigefahren, wenn ich aus dem Stadtteil Pisgat Zeev Mizrach (Pisgat Zeev Ost), wo ich bis vor einigen Jahren gewohnt habe, herausgefahren bin. Das sogenannte Flüchtlingslager Shuafat war Teil meines täglichen Lebens. Es befindet sich direkt gegenüber von Pisgat Zeev Mizrach. Wenn ich meine Kinder zu einem Geburtstag eines Freundes fuhr, der im südlichen Teil von Pisgat Zeev Mizrach wohnte, schaute ich immer erstaunt auf die andere Seite, auf Shuafat. Eine unordentliche Ansammlung von unzähligen grauen und oft unverputzten Häusern, die mit den Jahren immer mehr und immer höher wurden.
Das Flüchtlingslager Shuafat wurde im Jahr 1965 von der UNRWA errichtet (für einen Bericht über Shuafat auf der Internetseite der UNRWA bitte hier klicken). Zu der Zeit gehörte die Gegend noch zu Jordanien. Das Flüchtlingslager sollte 500 Flüchtlingsfamilien aus einem Lager in der Altstadt von Jerusalem bessere Wohnbedingungen geben. Nach dem Sechstagekrieg 1967 kam das Lager unter israelischer Kontrolle und wurde ein Teil von Jerusalem, nachdem die Grenzen der Hauptstadt neu festgelegt worden waren. Daher gelten die Bewohner Shuafats auch heute als Bewohner Jerusalems und besitzen einen Personalausweis, der ihnen einen Wohnsitz in Jerusalem ermöglicht. Das ist, was das “Flüchtlingslager” so populär macht. Denn das israelische Innenministerium garantiert nur denjenigen einen “Jerusalemer Ausweis”, die nachweisen können, das Jerusalem ihr Lebenszentrum ist.
Nach Beginn der zweiten Intifada wurde um Shuafat herum die Sicherheitsmauer errichtet, wodurch es von dem Rest der Stadt Jerusalem abgetrennt wurde. Nach Osten, zur sogenannten “Westbank” und den Gebieten der Palästinensischen Autonomiegebiete, ist das “Flüchtlingslager frei zugänglich. Trotz allem gilt Shuafat nach wie vor als Teil Jerusalems. Wer in die Stadt möchte, muss durch einen Kontrollposten, wo er sich als Jerusalemer ausweisen muss, bevor er weiter in die Stadt gehen kann.
Shuafat ist absolut überbevölkert. Liegt die offizielle Einwohnerzahl bei 9500 bis 12000 Menschen, wird geschätzt, dass sich nit weniger als 30.000 Menschen in Shuafat aufhalten. Vielleicht sind es sogar noch mehr. Man könnte Shuafat fast schon als eine Stadt bezeichnen. Sie ist eng, dreckig und verbaut. Niemand beachtet hier die Baugesetze. Es wird gebaut, wo gerade noch Platz ist. In den letzten Jahren sind enorm viele Häuser hinzugekommen. Seit es die Mauer gibt, trauen sich die Angestellten der Stadtverwaltung nicht mehr, Shuafat zu betreten, aus Sicherheitsgründen. Selbst die Polizei ist dort nur sehr wenig anwesend. Auch die Müllabfuhr gibt es dort nicht, der Müll wird verbrannt, der Gestank und Rauch erreichen auch die nur wenige Meter entfernt gelegenen Häuser von Pisgat Zeev Mizrach.

Shuafat liegt gegenüber von Pisgat Zeev, dem grössten Stadtteil Jerusalems (Foto: Miriam Alster/Flash90)
Aber das ist leider nicht das einzige, was von Shuafat nach Pisgat Zeev rüberkommt. Immer wieder berichten Bewohner des Stadtteils von Patronenhülsen, die sie auf ihrem Balkon gefunden haben. Ab und zu geht auch mal eine Fensterscheibe zu Bruch und in einem der extremeren Fälle wurde ein Junge von einer Kugel im Bein verletzt, als er auf dem Balkon seiner Wohnung spielte. Unglaublicherweise gehören “verirrte” Kugeln zum Alltag in Pisgat Zeev. Durch die Öffnung zu den Gebieten der Palästinensischen Autonomiebehörde, von wo aus man unkontrolliert nach Shuafat kommen kann, kommen mit den Menschen auch eine unkontrollierte Zahl von Waffen in das Lager. Die Kriminalitätsrate liegt sehr hoch, was von den dortigen Bewohnern sehr beklagt wird. Allerdings wurde im März 2017 eine Polizeistation am Shuafat-Kontrollpunkt errichtet, die den Bewohnern Shuafats dienen soll. Dennoch sieht es nicht so aus, als habe sich die Lage dort sehr verbessert.
Der ehemalige Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat, erklärte vor Ende seiner Amtszeit, dass er die UNRWA, die sich für das “Flüchtlingslager” verantwortlich sie, aus Jerusalem heraus haben wollte. Er erklärte, das Jerusalem für Shuafat verantwortlich sei und nicht die UNRWA, die nur dafür kämpfen würde, den Flüchtlingsstatus der Bewohner zu bewahren und in seinen Schulen die Kinder für den bewaffneten Kampf für das Recht zur Rückkehr erziehen würde.
Video: https://player.vimeo.com/video/311075090
Auch heute sieht es nicht danach aus, als habe irgendeine Seite eine wirkliche Kontrolle über Shuafat. Ich persönlich war leider sehr zufrieden, aus Pisgat Zeev wegzuziehen, so sehr es mit dort auch gefallen hatte. Die unglaubliche Nähe zu Shuafat war mir immer ein Dorn im Auge. Im alltäglichen Leben habe ich einfach nicht daran gedacht, es sei denn, eines meiner Kinder wollte wieder mal einen Freund besuchen, der direkt gegenüber wohnte. (Dov Eilon)
Blick auf Shuafat von Pisgat Zeev aus (Google Street View)
Archivbild: Shuafat im Norden Jerusalems (Foto: Miriam Alster/Flash90)
Kategorien:Gesellschaft
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