
«Judensterne» mit Aufschriften wie «ungeimpft» oder «Maskenattest» wurden gemäss SIG 2020 sowohl in Telegram-Chats als auch an Demos gesichtet.
Antisemitische Äusserungen in den sozialen Medien bleiben ein Problem. Neu war 2020, dass viele judenfeindliche Aussagen in Telegram-Chats der «Corona-Rebellen» gemacht wurden.
485 Vorfälle antisemitischer Äusserungen registrierte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) 2020 in den sozialen Medien und Kommentarspalten von Zeitungen. Dazu kommen 47 Vorfälle im echten Leben, darunter 11 Beschimpfungen, 15 Schmierereien und eine Sachbeschädigung. Das zeigt der neueste Antisemitismus-Bericht für die Deutschschweiz.
Bei der Verteilung von antisemitischen Äusserungen online spielen Trigger eine zentrale Rolle. Der grösste Trigger 2020 sei sicherlich die Corona-Pandemie gewesen. 45 Prozent aller antisemitischen Verschwörungstheorien seien auf diese Krise zurückzuführen gewesen.
In den sozialen Medien lässt sich eine Verschiebung ausmachen: Während 2019 noch 90 Prozent aller gemeldeten Vorfälle von Facebook und Twitter stammten, waren es letztes Jahr nur noch 65 Prozent. Dafür gibt es laut Bericht zwei Gründe: Einerseits seien weniger Zeitungsartikel zu Themen geschrieben und in den sozialen Medien gepostet worden, die Trigger für antisemitische Kommentare darstellten – also etwa zum Nahost-Konflikt oder über das jüdische Leben.
Andererseits stellt der Bericht eine Verschiebung fest: «Neu kamen Gruppenchats auf dem Messengerdienst Telegram hinzu, die für knapp ein Drittel der Onlinefälle verantwortlich sind», so der Bericht. So würden im Umfeld der sogenannten «Corona-Rebellen» Verschwörungstheorien sowie Aussagen und Bilder mit antisemitischen Inhalten verbreitet.
143 Vorfälle in Telegram-Gruppen
Zwischen Mai und Dezember 2020 wurden gemäss Bericht 143 antisemitische Vorfälle aus sieben verschiedenen Chats der «Corona-Rebellen» registriert. Ein grosses Problem seien in dieser Szene unangebrachte Vergleiche zum nationalsozialistischen Regime und zur Verfolgung und Ermordung von Juden während des Holocaust. So würde der Vergleich gezogen, dass man sich «wie die Juden im Zweiten Weltkrieg» fühle. Solche Vergleiche entbehrten jeglicher Realität und seien unangebracht, wenn auch nicht per se als antisemitisch zu werten.
Auch «Judensterne» mit der Aufschrift «ungeimpft» oder «Maskenattest» sieht man laut Bericht sowohl bei Telegram als auch auf den Demonstrationen. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern und den USA scheine Antisemitismus in der Schweiz bei den Gegnern der Coronamassnahmen zwar verbreitet, aber nicht mehrheitsfähig zu sein, heisst es weiter.
(Daniel Graf/20min; Foto: Boris Roessler/dpa)
Der Antisemitismus-Bericht
Der SIG kommt über drei Wege an Meldungen zu antisemitischen Vorfällen. Über die Meldestelle können Vorfälle gemeldet werden, die selber erlebt oder beobachtet wurden. Danach wird verifiziert, ob der Vorfall tatsächlich stattgefunden hat und ob er tatsächlich antisemitisch war. Der SIG betreibt ausserdem ein Medienmonitoring und nimmt antisemitische Vorfälle auf, über die in den Medien berichtet wird. Als dritte Quelle dienen eigene Recherchen des SIG im Internet, in den sozialen Medien und in den Kommentaren und nimmt es antisemitische Vorfälle auf.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von Antisemitismus betroffen?
Hier findest du Hilfe:
+ GRA, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus
+ Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
+ Pro Juventute, Tel. 147
+ Dargebotene Hand, Tel. 143
Kategorien:Gesellschaft
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