Es ist also an der Zeit, dass wir das Wort «Zionismus» realistisch definieren. Zuerst sollten wir uns daran erinnern, dass das Konzept von einer historischen Perspektive aus betrachtet erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auftauchte. Es ist sinnlos zu versuchen, Yehuda Halevi als Zionisten zu beschreiben, oder irgendeinen anderen Juden, der in den vergangenen Jahrhunderten ins Heilige Land einwanderte. Auf die gleiche Weise können wir den Begriff «Sozialismus» oder «Sozialist» nicht für Perioden vor der Mitte des 19. Jahrhunderts verwenden und beispielsweise Maximilien Robes-pierre als den «Sozialisten» der Französischen Revolution zu beschreiben, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zugetragen hat. Diese Konzepte haben nur von der Zeit an Bedeutung, in der sie in einem spezifischen historischen Kontext erschienen. Sie nach unserem Belieben hin und her zu werfen als Etiketten für irgendwelche Dinge ist ein klar anachronistischer Akt.
Wenn dem so ist, wie würden wir dann definieren, wer ein Zionist ist, angefangen mit dem Auftauchen der zionistischen Bewegung und inspiriert durch Theodor Herzl und seine Kollegen?
Hier ist die Definition: Ein Zionist ist ein Mensch, der die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel, das dereinst zum Staat des jüdischen Volkes werden wird, wünscht oder unterstützt. Das basiert auf Herzls Satz: «In Basel habe ich den jüdischen Staat gegründet.»
Das Schlüsselwort in dieser Definition ist «Staat», und dessen natürlicher Standort ist wegen der historischen Verbindung des jüdischen Volkes zu ihm das Land Israel. Der Grossvater meines Grossvaters etwa, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Thessaloniki ins Land Israel kam, kann demnach nicht als Zionist bezeichnet werden. Er kam, um sich im Land Israel niederzulassen, und nicht, um hier einen Staat zu gründen. Das gilt auch für die Vorfahren der Neture Karta und andere chassidische Gruppen, die schon im 17. und 18. Jahrhundert ins Land Israel kamen, dem sie loyal blieben. Nicht nur waren diese Juden nicht an der Gründung eines jüdischen Staates interessiert, zu ihnen gehören gar einige, die den Staat Israel als eine Abscheulichkeit und eine Entweihung des göttlichen Namens sahen und teilweise immer noch sehen.
Eigene Visionen
Ein Zionist ist deshalb ein Jude, der die Errichtung eines jüdischen Staates im Land Israel unterstützte, und nicht unbedingt jemand, der sich physisch im Land niedergelassen hat. Herzl selber und viele zionistischen Aktivisten sind nie nach Erez Israel eingewandert, doch würde man nicht zögern, sie Zionisten zu nennen. Sogar heute betrachten wir die Mitglieder zionistischer Föderationen weltweit als Zionisten, wie auch sie sich selber, auch wenn sie nicht in Israel leben.
Wer glaubt, dass nur ein in Israel lebender Mensch ein Zionist sein kann, der sagt im Wesentlichen, dass es heute ausserhalb des Staates Israel keine Zionisten gibt. Das ist aber nicht der Fall. Und wie verhält es sich mit den im Lande Israel Geborenen? Werden sie einzig auf Grund ihres Geburtsortes als Zionisten betrachtet? Ein Zionist ist eine Person, die die Gründung eines jüdischen Staates im Lande Israel wünschte oder unterstützte. Welche Art von Staat? Nun, jeder Zionist hat seine eigene Vision und seinen eigenen Plan.
Der Zionismus ist keine Ideologie. Gemäss der Hebrew Encyclopedia wird die Ideologie wie folgt definiert: «Eine kohäsive, systematische Kombination von Ideen, Verständnissen, Grundsätzen und Imperativen, die ihren Ausdruck findet in der konkreten Weltansicht einer Gruppe, einer Partei oder einer sozialen Klasse.» Von dieser Definition ausgehend kann der Zionismus nicht als Ideologie angesehen werden, sondern nur als eine sehr breite Plattform für verschiedene Ideologien, die sich möglicherweise sogar widersprechen können.
Revidierter Begriff
Seit der Gründung des Staates Israel 1948 ist die Definition des Begriffs «Zionist» revidiert worden, denn wir brauchen keinen weiteren Staat zu errichten. Aus diesem Grund lautet die Definition heute: Ein Zionist ist eine Person, die den Grundsatz akzeptiert, dass der Staat Israel nicht ausschliesslich seinen Bürgern gehört, sondern dem ganzen jüdischen Volk. Der praktische Ausdruck dieser Haltung ist das Rückkehrergesetz.
Die Staatsangelegenheiten werden effektiv ausschliesslich von den Bürgern des Staates verwaltet – von Menschen, die eine israelische Identitätskarte besitzen und von denen 80 Prozent jüdisch sind, während es sich bei 20 Prozent um israelische Palästinenser und um andere handelt. Doch nur eine Person, die das Rückkehrergesetz unterstützt und bekräftigt, ist ein Zionist. Wer dieses Gesetz zurückweist, ist kein Zionist. Trotzdem sind israelische Juden, die das Rückkehrergesetz ablehnen und sich selber als Nicht-Zionisten oder Postzionisten bezeichnen (sei es von der Rechten oder von der Linken), gute Bürger, die dem Staat Israel gegenüber loyal sind. Ihnen kommen alle bürgerlichen Rechte zu.
Davon leiten wir ab, dass all die grossen ideologischen, politischen, sicherheitspolitischen und sozialen Fragen, über die wir Tag und Nacht debattieren, nichts mit dem Zionismus zu tun haben. Sie sind jenen Fragen ähnlich, mit denen sich viele andere Menschen der Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen mussten und immer noch auseinandersetzen müssen.
Darüber hinaus soll der Zionismus als Wort nicht andere Wörter wie Patriotismus, Pioniergeist, Menschlichkeit und Liebe zur Heimat ersetzen, Konzepte, die man auch in anderen Sprachen findet. Die hebräische Sprache ist reich genug, um jede Position oder Aktion mit dem passenden Wort zu versehen. Ein Offizier der israelischen Verteidigungsstreitkräfte zum Beispiel, der seit vielen Jahren nach seinem Pflichtdienst in der Berufsarmee dient, ist kein grösserer Zionist als der um seinen Lebensunterhalt ringende Kioskbesitzer, obwohl wir im Offizier spontan den grösseren Patrioten sehen würden. Eine Person, die sich als Freiwilligenarbeiter um bedürftige Kinder kümmert, ist kein grösserer Zionist als ein Aktienbroker, auch wenn er ein grösserer Humanist sei mag.
Keine Auszeichnung
Ein Zionist zu sein ist kein Ehrenabzeichen keine Medaille, die man auf der Brust trägt. Medaillen hängen mit Handlungen und nicht mit der Unterstützung des Rückkehrergesetzes zusammen.
Es besteht ferner keine Verbindung zwischen der Grösse eines Staates und dem Zionismus. Hätten die Araber 1947 den Teilungsplan akzeptiert, wäre der Staat Israel innerhalb der Teilungsgrenzen genauso zionistisch gewesen wie innerhalb anderer Grenzen. Hätte der Staat Israel das Ostufer des Jordans erobert und annektiert und das Rückkehrergesetz aufgehoben, hätte er aufgehört, zionistisch zu sein, obwohl er drei- oder viermal so gross gewesen wäre. Der Staat war zionistisch, als er den Gazastreifen kontrollierte, und war nicht weniger zionistisch, als er sich von dem Streifen zurückzog. Viele Länder kennen Veränderungen in der Grösse ihres souveränen Territoriums, doch ihre zentralen Identitäten sind intakt geblieben.
Eine moralische Bedingung
Was das Rückkehrergesetz betrifft, das
einige den palästinensischen Bürgern
Israels gegenüber als diskriminierend ansehen, lautet die Antwort wie folgt: Das Rückkehrergesetz ist im Wesentlichen die moralische Bedingung, welche die Länder der Welt für die Errichtung des Staates Israel aufgestellt haben. Die Uno-Teilung von Palästina und Erez Israel 1947 in einen jüdischen und einen palästinensischen Staat geschah unter der Bedingung, dass der jüdische Staat nicht nur ein Staat für die 600 000 Juden sein würde, die damals dort lebten, sondern dass er vielmehr ein Staat sein würde, der die Not der Juden in aller Welt lösen könnte und der allen Juden ermöglichen würde, in ihm ihre Heimat zu sehen. Wäre es moralisch für die Hunderttausenden von Juden, die auf der Basis des Rückkehrergesetzes nach Israel immigrierten, die Türe hinter sich zu schliessen, durch welche sie hineingekommen waren?
Überdies ist es fast sicher, dass es ein ähnliches Gesetz im Palästinenserstaat geben wird, der, so hoffe ich, rasch und in unseren Tagen entstehen wird. Es würde diesem Staat gut anstehen, ein Rückkehrergesetz zu verabschieden, das jedem exilierten Palästinenser gestatten würde, in den palästinensischen Staat zurückzukehren, der ihm Asyl gewähren und die Staatsbürgerschaft verleihen müsste.
Doch weder das israelische Rückkehrergesetz noch ein ähnliches Gesetz im künftigen Palästinenserstaat widersprechen allgemeinen Einwanderungsgesetzen, welche spezifische Eintrittskriterien aufstellen würden, so wie es in jedem Staat der Welt üblich ist.
Die Befreiung des Konzepts des Zionismus von all den zu ihm gehörenden Zusätzen und Ergänzungen würde nicht nur die ideologischen und politischen Diskussionen klären, die wir untereinander führen, was verhindert, dass die Dispute mythologisiert werden, sondern es würde auch Kritiker im Ausland zwingen, ihre Posi- tionen zu klären und zu fokussieren.
A.B. Yehoshua ist israelischer Schriftsteller und Essayist. (Dieser Artikel erschien im tachles)
Kategorien:Gesellschaft
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