Die Coronakrise zeigt, wie gross die Kluft innerhalb unseres Volkes ist. Dabei sind wir doch alle Juden. Aber eine besonders extreme Gruppe des orthodoxen Judentums will in unfassbarer brutaler Weise, mit regelrechten Lynch Versuchen, die Spaltung des jüdischen Volkes.
In Israel hat man sich an die Bilder gewöhnt, wo orthodoxe Juden die Strassen blockieren und dann mit Wasserwerfern und berittenen Polizisten vertrieben werden. In den Protesten ging es meistens um die Sache mit der Wehrpflicht. Die Coronakrise hat diese Kluft zwischen uns noch weiter vertieft. Es geht um die Einhaltung des Lockdowns und die damit verbundene Anweisung, alle Schulen zu schliessen. Schon während der letzten beiden Lockdowns versuchten einige Thoraschulen sich den Anweisungen zu widersetzten und weiter geöffnet zu blieben. Die Polizei hatte dann oft ein Auge zugedrückt, was von anderen sehr kritisiert wurde. Gleiches Recht für alle hiess es dann. Diesmal, im dritten Lockdown und angesichts der Corona-Mutationen, die die Zahl der am Virus Erkrankten in die Höhe trieb, geht man härter gegen die nicht Einhaltung der Anweisungen vor.
In einer neuen Runde treten einige Ultra-Orthodoxe gewaltsam gegen die Schliessung von Religionsschulen auf. Religionsführer und Politiker geben der Polizei eine Mitschuld an den Ausschreitungen. Ultra-Orthodoxe haben in mehreren Städten gewaltsam gegen die Corona-Massnahmen der Regierung demonstriert. In Jerusalem, Bnei Brak und Aschdod kam es am Sonntag zu Zusammenstössen mit der Polizei, als diese gegen die illegale Öffnung von Religionsschulen vorging. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ist der Schulbetrieb derzeit untersagt.
Bereits in der vergangenen Woche war es zu gewaltsamen Protesten gekommen. Auslöser für die neue Runde war offenbar eine Äusserung des Vischnitzer Rabbis in Bnei Brak, Israel Hager: Am Samstag verkündete er, die Religionsschulen würden am Sonntag öffnen. Die Regierung ignoriere die Bedeutung des Tora-Studiums, begründete er den Vorstoss. Zugleich wies er seine Zuhörer an, auf Gewalt zu verzichten und die Polizei an sein Büro zu verweisen. Die Vischnitzer Juden sind die drittgrösste chassidische Gruppierung in Israel.
Wie sich nun heraustellt, bewirkte der Aufruf zum Gewaltverzicht wenig. Der Widerstand wurde immer gewalttätiger. Die Polizisten wurden nicht mehr nur als “Nazis” beschimpft. Bei Unruhen in Bnei Brak bewarfen die Randalierer Polizisten und Journalisten mit Steinen. Auf der Strasse entzündeten sie Müll. Ein Polizist setzte Schüsse in die Luft ab, als Protestler ihn bedrängten. Am Abend gingen Ultra-Orthodoxe auf das Auto des Bürgermeisters Avraham Rubinstein (Degel HaTora) los, der daraufhin in Sicherheit gebracht werden musste.
Und dann gab es einen Vorfall in der orthodoxen Stadt Bnei Brak, die das Fass zum Überlaufen brachte. Orthodoxe Juden entdeckten in einem privaten Auto in Zivil gekleidete Polizisten. Es kam zu einem regelrechten Lynch Versuch.
Das Auto der Polizisten wurde mit Brettern geschlagen, die Scheiben zerbrochen.
Nach diesem Vorfall wurde ein grosses Aufgebot von Polizisten in die Stadt Bnei Brak gebracht, um dort für Ordnung zu sorgen. Jeden Tag kommt es dort zu Auseinandersetzungen. Unschöne Bilder werden gezeigt, Polizisten gegen die orthodoxen Juden. Die Bereitschaft zur Gewalt scheint immer grösser zu werden, es werden Müllcontainer angezündet und Steine geworfen.
Die Bilder der letzten Tage aus Bnei Brak haben mich fast an Unruhen in den arabischen Dörfern erinnert.
Am Abend setzten sich die Gewaltaktionen fort: Eine nach Einschätzung von Beobachtern jugendliche Randgruppe setzte einen Bus in Brand. Zuvor zerrten sie den Fahrer aus dem Bus und schlugen auf ihn ein. Das Fahrzeug brannte vollständig aus. Da auch Stromleitungen in der Umgebung Feuer fingen, kam es zu einem Stromausfall in der Nachbarschaft. Das betroffene Busunternehmen Afikim kündigte an, es werde nun überprüfen, ob es weiterhin Bnei Brak ansteuere.
Absoluter Höhepunkt war ein Schuss eines Polizisten in die Luft vor einer protestierenden Menge orthodoxer Juden. Der Polizist soll sich bedroht gefühlt haben, soll der Grund für den Schuss in die Luft gewesen sein.
In einer Dringlichkeitssitzung der Stadtbehörde war auch der ultra-orthodoxe Abgeordnete Mosche Gafni zugegen sowie Wohnungsbauminister Ja’akov Litzman (beide Vereinigtes Tora-Judentum). Gafni sieht bei den Aufständen eine Mitschuld der Polizei: Diese sei bereits in der vergangenen Woche „provokativ“ gegen Demonstranten vorgegangen, indem sie etwa Tränengas eingesetzt habe. Es sei undenkbar, dass es zu derartigen Aktionen in Tel Aviv komme.
Gafni übermittelte bei der Sitzung eine Botschaft von Rabbi Chaim Kanievski, der in ultra-orthodoxen Kreisen als führende Autorität gilt. Der 93-Jährige forderte ein Ende der Demonstrationen, rief aber auch die Polizei auf, mit den „schrecklichen Dingen“ aufzuhören, die sie der Gemeinschaft antue.
In Jerusalem schmiss eine Gruppe am Sonntag wenige hundert Meter nördlich der Altstadt die Scheiben einer Stadtbahn ein und bewarf sie mit Farbe. Auf die Gleise goss sie Beton. Der Betreiber der Stadtbahn, Citypass, sprach laut der Nachrichtenseite „Arutz Scheva“ von einer „sehr gefährlichen Sabotage“. Die Bahn hätte aufgrund des Betons entgleisen, Personen hätten zuschaden kommen können.
Auch in Aschdod entzündete sich der Protest an den Massnahmen der Polizei gegen die illegale Öffnung von Religionsschulen. Die Polizei gab am Montag an, dass seit Donnerstag landesweit 20 Polizisten wegen ihrer Verletzungen ins Krankenhaus mussten.
Der sephardische Oberrabbiner Jitzchak Josef verurteilte die Gewalt am Montag. Dies sei nicht der Weg der Tora, erklärte er laut der Nachrichtenseite „Yediot Aharonot“. „Wir alle sind Söhne Abrahams, Isaaks und Jakobs, und uns allen ist befohlen, den Nächsten zu lieben wie dich selbst.
Der Vorsitzende des Rechts- und Justizauschusses in der Knesset, Ja’akov Ascher (Vereinigtes Tora-Judentum), rief die Polizei am Montag auf, die Lage in Bnei Brak unter Kontrolle zu bekommen. Die Stadt dürfe sich nicht in ein „Schlachtfeld“ verwandeln. Der Grossteil der Bürger halte sich an Recht und Ordnung.
Heute Morgen wurde in Israels Radio fast nur noch von den Unruhen und der Beziehungen zum orthodoxen Judentum gesprochen. Israel sei ein Land mit zwei Völkern, wird dort gesagt. Zurzeit hat keiner wirklich eine Ahnung, wie diese Kluft wieder geschlossen werden kann. Hätten man die orthodoxen Gemeinden in Ruhe lassen sollen, sie einfach abriegeln und machen lassen, was sie wollen? Oder sollte nicht auch von den extremen orthodoxen Juden verlangt, dass sie dem Gesetz zu folgen haben? Die schwierigen Zeiten mit dem Corona Virus zeigt auf, wie tief die Spaltung unter uns ist. Nicht allein nur in Israel. Am Ende bleibt jedoch zu betonen, dass es hier nur um einen kleinen Teil des orthodoxen Judentums geht. Der grösste Teil lebt friedlich und es zeigt auch, dass ein Zusammenleben möglich ist. Die Spaltung besteht also auch innerhalb des orthodoxen Judentums, oder vielleicht besser gesagt, gerade dort.
Kategorien:Gesellschaft
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